David Bowie zum Sechzigsten Der weise Pfau Von Dietmar Dath |
08. Januar 2007 Eine Stimme, die klingt wie Papier, das gerade Feuer fängt, wirft sich ans große Nichts weg: „I'm frightened by the total goal / I'm drawing to the ragged hole / And I ain't got the power anymore / No I ain't got the power anymore.“
Das war 1971, auf der Platte „Hunky Dory“. Langhaarig, vornehm, bleich bis zur Schwindsucht, ein Chattertonianer reinsten Wassers, gab David Robert Jones, der sich seit zwei Jahren David Bowie nannte, den Lordsiegelbewahrer der décadence - eine Erscheinung, der man später mit wechselnder Bemalung und Frisur nicht nur auf Plattencovern und Konzertbühnen, sondern auch im Kino vorzugsweise als Gefäß luziferischer Inspiration und Verkörperung des absichtlich Unwahren begegnen sollte. Außerirdische, Vampire und Individuen wie Andy Warhol oder Nikola Tesla, die der Welt nicht erst abhanden kommen mussten, um komplett jenseitig zu wirken, hat er gespielt, als wären sie ungezwungen-naturalistisch aufzufassende Charaktere. Komplementär dazu schien die Figur „David Bowie“, die sich in einem Videoclip einmal als „Lord Byron“ inszenierte, eher der Literatur als der Natur entstiegen (und wurde nicht nur deshalb von Philip K. Dick, dem entrücktesten Klassiker der Sciencefiction, 1980 im Roman „Valis“ als böser Engel „Eric Lampton“ in die Dichtung heimgeholt).
Abwegige Werte und Ideen
Mit seriöser Ausgekochtheit steht Bowie seit 1969 (was davor war, schlummert harmlos in Archiven) für oft stark abwegige Werte und Ideen ein, die sich andere Popstars meistens erst viel später oder lieber nie zu berühren getraut haben: butterweiche Saxophonsoli von dürren weißen Speedfreaks, die Schönheit der West-Berliner Rußfassade als solcher (Diverses circa 1977), zu Blechgestöber zerspellter Hardrock von unterkühlten Krawattenträgern („Tin Machine“ 1989), Singer-Songwriter-Drum-And-Bass („Little Wonder“ auf „Earthling“, 1997), Britpop mit Hirn. . .
Bowies einprägsamste musikalische und schauspielerische Gesten beschwören einen abgefeimt eitlen, ausgezehrten, knochentrockenen Eros und weisen so mit aller Entschiedenheit den virilen Rock 'n 'Roll-Vitalismus zurück, der Urviecher mit Haaren auf dem Rücken und Schnaps im Bart anbetet. Trotzdem bleibt Bowie, selbst umwölkt vom Sprühnebel der Heroin-Schlaffheit seiner Spätsiebziger-Phase, stets Rock 'n 'Roller ohne Furcht und Tadel. Er war Beatnik, Glamboy, Mod; immer aber von jener zuverlässigen Halbseidenheit, die informierte Beobachter jederzeit zu durchschauen glaubten und der doch niemand je ganz auf den Grund gehen konnte, weil da, wo dieser Grund vermutet wird, kein sicherer Boden verfestigter Aussagevorhaben zu finden ist, sondern der Plan eines eminent beweglichen Verhältnisses zur gesamten übrigen Popwelt und -geschichte.
Mehrdeutig und verkopft
Beweisen konnte Bowie während rund vierzig Jahren dieser anstrengenden performance, dass das Mehrdeutige, Sekundaristische und Verkopfte in der Kunst (wenn schon nicht im Zweikampf mit Wildschweinen) jederzeit geeignet ist, das Stämmige, Robuste, Triebhafte und aus lauter Einfallslosigkeit Realistische auszustechen, zu unterlaufen und zu überleben.
Alleine geht so etwas nicht. Umringt von Guten, Bösen und Hässlichen, schuf er Wahres, Schönes und (zum Glück selten) Kunstgewerbliches: Brian Eno holte er sich für die nötige metaphysische Blasiertheit; Iggy Pop fürs gesunde Kranksein; Carlos Alomar für taubenweiße Reinheit bei der Melodieführung; Tony Visconti für Produzentenweisheit in Dosen und vierzigtausend längst vergessene Heinzelmännchen und -weibchen für dolle Ideen wie die Ausgabe von Anteilscheinen an seiner Zukunft, Tapetenmuster oder das abstruse Video zu „Day in, Day Out“ (1987), in dem es um Vergewaltigung und Rollschuhfahren in engen Hosen geht.
Eine der verkehrtesten Gedankenlosigkeiten beim Loben und Tadeln erfolgreicher Popkünstler von auch nur einiger Originalität ist die billige Rede vom Identitätenwechsel. Wenn der Antiterrorpolizist Jack Bauer sich als Frank Wurst in eine Täterzelle einschleicht oder das transgendered Männchen Tim Schulze zur flamboyanten Tina wird, liegt womöglich wirklich in juristisch, sozio- oder psychologisch fassbarem Sinn Identitätsveränderung vor. Was aber David Bowie macht, wenn er statt Ziggy Stardust lieber Aladdin Sane sein mag, nennt man Rollentausch.
Die Gewissheit der Kontinuität
Der Unterschied ist leicht zu begreifen: Wer seine Rollen in aller Öffentlichkeit häufig wechselt, befestigt beim Publikum gerade die Gewissheit der Kontinuität (und Souveränität) der Person („Das kann sich nur David Bowie / Madonna / etc. erlauben“); wer dagegen die eigene Identität verändert, also die meisten oder gar alle erprobten Anschlussstellen zwischen sich und anderen ungültig macht, beschädigt diese Gewissheit mit vollem Risiko - nicht nur bei Fremdbeobachtern, sondern auch bei sich selbst.
Die folgenreichste Selbstumdeutung, die sich David Bowie hat einfallen lassen, war (und bleibt) allerdings genau deshalb interessant, weil sie den Rollentausch, den er bis heute übt, zumindest ein einziges Mal bis an die Grenze der Identitätsüberdehnung führte: Am 22. Januar 1972 erschien das britische Musikblatt „Melody Maker“ mit einem Bowie-Interview, das den schlichten Satz enthielt: „I'm gay and I always have been, even when I was David Jones.“ Die Auskunft, dass Bowie schwul sei, wurde bald als Bekenntnis der „Bisexualität“ variiert - diese Variante lässt sich sowohl als clevere Verwässerung der ursprünglichen Behauptung wie als radikalisierende Zuspitzung der Verweigerung heterosexueller Eindeutigkeit lesen (heute steht für diese zweite Option der nützlichere Ausdruck queer zur Verfügung).
Maßloser Narzissmus
Bowies Ex-Frau Angela hat vermutlich ganz recht, wenn sie in ihren 1993 erschienenen Schmuddelmemoiren „Backstage Passes“ den Bowie jener Zeit als berechnenden, vom Ehrgeiz zerfressenen Image-Instrumentalisten schildert, den sowohl greuliche Selbstzweifelattacken wie maßloser Narzissmus umtrieben. Auf solche Leute ist Kunst angewiesen - was ein in sich ruhender, über seine Beweggründe restlos aufgeklärter Mensch so zusammenträumt, kann man vielleicht mögen; aber es züngelt, glüht und funkelt nicht.
Bowies sexy giftige Selbstbesessenheit dagegen hat ihm, weil er ihr nachgegangen ist bis in die noble Leere elektroakustischer Wummermusik (am besten auf „Low“ 1977), etwas wie eine höhere Selbstlosigkeit beschert - anstatt über sein Werk zu verfügen, hat er sich davon in lauter Einzelteile, phantastische Textzeilen, unvergessliche Bilder zerlegen lassen; was als smarte Strategie begann, wurde Weisheit. Heute wird dieses wunderschöne Monster sechzig Jahre alt.
Text: F.A.Z., 08.01.2007, Nr. 6 / Seite 31
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