Ein Gespräch mit dem Rockmusiker Donald Fagen
Auf Soundveränderung stand Erschießen
Rockmusik als Jazz: Mit diesem Ansatz und der Fähigkeit, das moderne Studio wie ein Instrument zu behandeln, sind „Steely Dan“ berühmt geworden.
Donald Fagen ist einer der beiden Bandköpfe.
Warum haben Sie eigentlich schon 1974, zwei Jahre nach Gründung von „Steely Dan“, das Touren eingestellt?
Wir waren nur für kurze Zeit und nur ganz am Anfang das, was man eine Live-Band nennen könnte. Richtig gut kannten sich allerdings nur Walter Becker und ich. Der Rest war ein zusammengewürfelter Haufen von Leuten, die nicht wirklich zueinander passten. Dazu kamen all die anderen Probleme: Live hatte man in den siebziger Jahren immer einen fürchterlichen Sound. Dann noch diese miesen Hotels und das ewige Herumreisen – es machte einfach keinen Spaß! Deshalb haben wir das Touren aufgegeben und nur noch Platten aufgenommen . . .
. . . die sich schon bald so gut verkauften, dass Sie zu jedem Tourveranstalter hätten sagen können: Wir spielen live – aber nur zu den Bedingungen von „Steely Dan“.
Tatsächlich gab es nach „Aja“ die Überlegung, wieder auf Tour zu gehen. Als sich aber herausstellte, dass nach dieser Platte fast nur noch Studiomusiker Fans von „Steely Dan“ waren, haben wir das seinlassen. Doch im Ernst: Wir hätten bei einer Tournee wirklich draufgezahlt.
Was ist Ihre schlechteste Tour-Erinnerung?
Schwierig, weil ich mich wie so viele, die die siebziger Jahre erlebt haben, nur ziemlich schlecht an diese Zeit erinnern kann. Einmal waren wir in einem fürchterlichen Motel irgendwo in Nebraska drei Tage lang eingeschneit. Und dann gab es noch diese Heavy-Metal-Bands, für die ausgerechnet wir als Vorband spielen mussten. Das Publikum wollte richtig harten Rock – und bekam „Steely Dan“ im Vorprogramm. Kein Wunder, dass die nicht zugehört haben.
Je länger die siebziger Jahre dauerten, desto mehr verwandelte sich „Steely Dan“ in eine Studio-Band. Walter Becker und Sie waren berühmt-berüchtigt für den Perfektionismus, mit dem Sie im Studio arbeiteten. Was trieb Sie zu dieser Suche nach dem perfekten Sound, dem perfekten Album, dem perfekten Gitarrensolo?
Wenn es um den angeblichen Studiowahnsinn von „Steely Dan“ geht, wird für meinen Geschmack ganz schön übertrieben. Die Musiker kamen für ein Solo ins Studio. Manchmal war der erste Versuch perfekt, manchmal hat es eben ein bisschen Coaching von unserer Seite gebraucht, damit überhaupt klar war, was wir wollten. Was soll daran besonders sein?
Aber für „Gaucho“, das letzte Album vor Ihrer Trennung, brauchten Sie eintausend Studiostunden. Sie sollen den Toningenieur gebeten haben, Sie zu erschießen, wenn Sie auch nur noch um eine einzige Änderung bäten. Da soll kein Perfektionismus im Spiel gewesen sein?
Da wussten wir eben manchmal selbst nicht, wie ein Song genau klingen sollte. Man probiert etwas aus, und schon hat das Auswirkungen auf alles andere, was man schon auf Band zu haben glaubt. Oder der Schlagzeuger hat keinen guten Tag, und auch beim nächsten Termin bekommt er den Groove einfach nicht so hin, wie man sich das vorstellt – dann probiert man eben einen anderen aus. Kann schon sein, dass wir bei „Gaucho“ ein wenig um uns selbst kreisten. Heute ist das einfacher: Wir haben so etwas wie eine feste Band, auf die wir sowohl live wie im Studio zurückgreifen können. „Everything Must Go“– unser letztes Album – haben wir in Rekordzeit aufgenommen.
„Gaucho“ war 1980 das vorläufige Ende von „Steely Dan“. Für die nächsten 13 Jahre gingen Sie und Walter Becker getrennte Wege. Bis zum nächsten Album – „Two Against Nature“ – sollte es zwanzig Jahre dauern. Sahen Sie in „Gaucho“ damals einen Triumph oder eine Niederlage?
Wir fühlten einfach nur, dass wir nichts mehr zu sagen hatten. Die Energie, die man aus seiner Jugend mitnimmt und mit der wir sieben Alben bestritten hatten, war mit „Gaucho“ komplett verbrannt. Wir brauchten auch Zeit, um erwachsen zu werden. Und dafür waren diese langweiligen, enttäuschenden achtziger Jahre genau das Richtige.
Inwiefern?
In den Vereinigten Staaten war das die Gegenbewegung zu allem, wofür die sechziger und siebziger Jahre stehen – politisch, spirituell, musikalisch. Viele meiner Generation haben diese Zeit als enttäuschenden Rückschritt empfunden. Eine gute Zeit also, um sich auszuklinken.
Über „Two Against Nature“ schrieb ein Kritiker, dieses Comeback-Album klinge so, als ob seit „Gaucho“ nicht zwanzig Jahre, sondern nur zwanzig Minuten verstrichen wären – was gleichermaßen als Kompliment wie als Vorwurf zu verstehen ist. Was sagen Sie dazu?
Das Kompliment nehme ich gerne an. Wenn es ein Vorwurf sein soll, lautet meine Entgegnung einfach nur: Du kannst mich mal.
Wenn wir es als Kompliment deuten: Wie schaffen Sie es, sich von Musiktrends so erfolgreich abzukapseln, dass 20 Jahre nur nach 20 Minuten Zeitunterschied klingen?
Ich hätte genauso sagen können, dass ich versuche, Musik nach den Regeln der fünfziger oder sechziger Jahre zu machen. Am liebsten höre ich nach wie vor den Jazz der zwanziger bis sechziger Jahre, Rhythm and Blues oder Soul. Musik, die mir nicht gefällt, geht bei mir zum einen Ohr raus wie beim anderen rein. Irgendwann Mitte der siebziger Jahre habe ich aufgehört, Popmusik zu hören.
1993 haben Sie und Walter Becker „Steely Dan“ wiederbelebt – paradoxerweise als Live-Band.
Das hat sich damals so nach und nach ergeben. Ich habe bei der „New York Rock and Soul Revue“ mitgewirkt und gleichzeitig „Kamakiriad“, mein zweites Solo-Album, herausgebracht, produziert von Walter Becker. Ich fragte Walter, ob er nicht Lust hätte, mit der Revue mit auf Tour zu gehen. Und so kam es, dass wir eines Abends auf der Bühne standen und ein paar „Steely Dan“-Songs spielten. Das Management, die Tourbedingungen, die Publikumsreaktion – alles schien zu passen. Die Konzerte machten Spaß. Rückblickend war das so etwas wie der Neuanfang von „Steely Dan“. Seitdem haben wir unsere Live-Band mit jeder neuen Tour verbessert und die genau richtigen Musiker für „Steely Dan“ gefunden.
Haben Sie die neuen Songs von „Two Against Nature“ und „Everything must go“ auch deswegen aufgenommen, weil Sie nicht als Nostalgie-Veranstaltung durch die Lande ziehen wollen?
Klar sind neue Songs wichtig. Sie sorgen dafür, dass „Steely Dan“ lebendig und neu klingen – für uns selbst, aber auch für das Publikum. Live waren allerdings auch viele unserer alten Songs auf eine bestimmte Art und Weise neu – einfach deshalb, weil wir sie in den siebziger Jahren nur im Studio aufgenommen, aber nie auf der Bühne gespielt hatten.
Wie sollen Ihre heutigen Musiker diese Songs von damals aufführen? So originalgetreu wie möglich oder mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit?
Manchmal arrangieren wir die „Steely Dan“-Klassiker um – etwa so, dass ein Maximum an Soliermöglichkeiten entsteht. Im Grunde coachen wir unsere Musiker aber nicht – das sind exzellente Jazzer, die selbst am besten wissen, was sie tun. Unser Gitarrist Jon Herington zum Beispiel spielt die Gitarrensoli gelegentlich so, wie sie ein Larry Carlton oder Robben Ford in den Siebzigern eingespielt haben. Obwohl ich ihn immer dazu ermuntere, die alten Soli zu vergessen. Aber auf mich hört er ja nicht!
Gibt es „Steely Dan“-Klassiker, die Sie aus Ihrem Live-Programm verbannt haben?
Einige Hits wie „Rikki Don’t Lose That Number“ haben wir mittlerweile satt. Auch „Do It Again“ spielen wir eher selten. Und „Reelin’ In The Years“ ist fast jedes Mal ein Riesenproblem.
Im Internet gibt es zahlreiche Websites, die sich akribisch mit der Musik und den obskur raffinierten Songtexten von „Steely Dan“ beschäftigen. Interessiert Sie das? Haben Sie schon mal eine Website wie www.Steelydandictionary.com besucht?
Einmal habe ich mir das angeschaut, aber eigentlich interessiert mich das alles nicht.
Wie nah sind Sie ihrem Klangideal auf der aktuellen Tour?
Viel näher, als wir je zu hoffen wagten. „Steely Dan“ 2007 ist die beste Live-Band, die wir je hatten. Wer zu uns kommt, wird Spaß haben.
Das Gespräch führte Claus Lochbihler.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.07.
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