Marianne Faithfull
Die gebrochene Englische
Von Edo Reents
29. Dezember 2006 Die im Zusammenhang mit ihr am häufigsten verwendeten Ausdrücke sind „Muse“, „Traumpaar“ und „Comeback“. In ihrer Klischeehaftigkeit sind sie natürlich längst zu Tode geritten - das haben sie der Sängerin, die damit seit mehr als vierzig Jahren bedacht wird, voraus: An Marianne Faithfull kann man studieren, was Überleben heißt. Und doch umreißen die Ausdrücke recht genau, worum es in ihrem Leben geht.
Wer ein Comeback feiert, aber mit dem Begriff nicht einverstanden ist, sagt in der Regel: „Wieso Comeback? Ich war doch nie weg!“ Marianne Faithfull hält es umgekehrt: „Ich hasse das Wort. Ich hatte so viele angebliche Comebacks, dabei war ich doch eigentlich nie richtig da.“ Wenn eine immerhin weltberühmte Sängerin so etwas von sich behauptet, dann ist das entweder Koketterie - die man ihr nicht zu unterstellen braucht -, oder es ist die traurige Einsicht in die Tatsache, daß ihre Karriere noch von etwas anderem als Talent - das man ihr unterstellen sollte - bestimmt wurde.
Das böse Rockjahr 1969
Es muß eine aufregende, schlimme, böse Szene gewesen sein, als Marianne Faithfull 1964 in der Stadt, die „Swingin' London“ hieß, Andrew Loog Oldham begegnete, jenem so aufschneiderischen wie rücksichtslosen Manager, der sie seinen Schützlingen vorstellte. Und das muß ein noch aufregenderer, schlimmerer, böserer Moment gewesen sein - sofort warfen Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones ihre, anders wird es kaum gewesen sein: geilen Augen auf die gerade Siebzehnjährige und wandten sie erst wieder ab, als Marianne Faithfull ruiniert war, gesundheitlich wie finanziell. Das war dann im bösen Rockjahr 1969, in dem Brian Jones starb und der Horror von Altamont losbrach.
Was dazwischenlag, ist ebenfalls bekannt: der Welthit „As Tears Go By“, den ihr Jagger/Richards auf den Klosterschülerinnenleib geschrieben hatten und den sie mit seltsam unberührter, mädchenklarer Stimme zum besten gab. Es folgten weitere Hits wie „Come and Stay With Me“ und „This Little Bird“, die den folgenden Fall dieses „Engels mit Titten“, wie Oldham sie boshaft genannt hatte, nur um so tiefer erscheinen ließen. Das neue Jahrzehnt hielt eine veritable Obdachlosenexistenz, immer noch in London, für sie bereit; das Sorgerecht für ihren 1965 geborenen Sohn (ein Rolling Stone war nachweislich nicht der Vater) wurde ihr entzogen.
Völlig rauchig gewordener Gesang
Aber dann, nach der bereits recht schönen Countrypop-Platte „Dreamin' My Dreams“ mit der von Waylon Jennings geschriebenen Titelnummer (1976), kam im Spätherbst 1979 ihre gültigste Rückmeldung: „Broken English“, diese bittere, wunderbare Platte war weniger ein Comeback als vielmehr ein Hilfeschrei mit exakt zehn Jahren Verspätung. (Ich weiß noch genau, als der Shel-Silverstein-Song „The Ballad of Lucy Jordan“ aus meinem Saba-Radiorekorder kam: das traurig wimmernde Keyboard, und ich hätte jede Wette gehalten, daß sich hier eine schwarze Sängerin die Reste ihrer Seele aus dem entweihten Leib wringt. Es ist bis heute ihr bestes Lied, so melodramatisch und zu Herzen gehend wie ein Film von Douglas Sirk.)
Auch das übrige Material war in der seltsam aseptischen Bearbeitung und mit dem nunmehr völlig rauchig gewordenen Gesang so überraschend und qualitätsvoll, daß „Broken English“ für immer eine der großen Frauenrockplatten bleiben wird: das Titelstück, das die Baader-Meinhof-Terroristen bedachte, die schmerzliche Anklage „Why'd Ya Do It“ und Lennons „Working Class Hero“.
Nie über ihr Dasein als Mick Jaggers Muse beklagt
Zur Arbeiterklasse hatte sie selber nie gehört. Die als Tochter eines Offiziers (andere sagen: Literaturprofessors) und einer österreichischen, der Sacher-Masoch-Familie entstammenden Adeligen im vornehmen Londoner Stadtteil Hampstead Geborene verkörperte vielmehr auf fast schon bemitleidenswert perfekte Weise die Dekadenz und Haltlosigkeit einer auf Hedonismus getrimmten Ära, und es war einfach Pech, daß sie an misogyne Genies geriet, bei denen der Überlebenswille am Ende doch stärker war als der Geschlechtstrieb.
Es spricht dabei für ihren Stil, daß sie sich über ihr Dasein als Mick Jaggers Muse öffentlich nie beklagt hat. Und sowieso: Was wäre ohne diese Bekanntschaften aus ihr geworden? Wegen ihrer späteren, alles andere als unpassenden Brecht/Weill-Songs, ihrer gewiß nicht abwegigen Ambitionen, die „Marlene Dietrich des Rock“ zu werden, und wegen der mit Hilfe jüngerer Musikprominenz vollzogenen, respektable Ergebnisse abwerfenden musikalischen Frischzellenkuren allein würde man sie an diesem Freitag, an dem Marianne Faithfull sechzig Jahre alt wird, nicht ganz so triftig zu beglückwünschen haben. Wer spricht, fragt Rilke, von Siegen? Überstehen ist alles.
Text: F.A.Z., 29.12.2006, Nr. 302 / Seite 31
Sonntag, 28. Oktober 2007
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