Montag, 29. Oktober 2007

Eric Claptons Autobiographie

Eric Claptons Autobiographie

Die Qual der Nüchternheit

Von Edo Reents

29. Oktober 2007 Wer dieses Buch gelesen hat, verspürt sofort das Bedürfnis, alle seine Eric-Clapton-Platten aus dem Schrank zu holen und sie der Reihe nach durchzuhören, um sich eine Frage zu beantworten: Wer ist mir lieber - der alte, frühe Clapton oder der neue, späte?

Musikalisch kann es hier keinen Zweifel geben; jeder an Rockmusik Interessierte wird der ersten Hälfte in der mehr als vierzigjährigen Karriere des englischen Gitaristen den Vorzug geben. Und doch schämt man sich für diese Einschätzung, weil man nun weiß, wie schwer es dieser Mann sich und anderen in dieser Zeit gemacht hat, und zwar aus einem einzigen Grund: Eric Clapton ist Alkoholiker - seit langem trocken zwar; aber schon ein Gläschen würde das Kartenhaus seines privaten Glücks zum Einsturz bringen.

Ich würde alles verlieren

Nur deswegen sieht man - und sieht hoffentlich auch seine Familie - ihm eine Äußerung ganz am Ende seiner Autobiographie „Mein Leben“ nach, die von solch ungeheuerlicher Aufrichtigkeit ist, dass man nicht weiß, was man dazu sagen soll: „Meine Frau und meine Kinder schenken mir täglich Glück und Freude, und wenn ich kein Alkoholiker wäre, würde ich mit Vergnügen sagen, sie seien das Allerwichtigste in meinem Leben. Aber das geht nicht, denn ich weiß, wenn ich meine Nüchternheit nicht ganz oben auf die Liste setze, werde ich alles verlieren.“

So etwas kann nur ein kranker Mensch sagen, und Clapton macht auch gar keine Anstalten, sich da in dem Sinne herauszureden, seine Familie sei ihm so wichtig, dass er alles dafür täte, sie zu erhalten, selbst wenn er sie dafür an die zweite Stelle setzen müsste. „Aber das geht nicht“ - so etwas kann nur ein Mensch sagen, der spürt, dass es Lebenstatsachen gibt, denen mit Dialektik und anderen Ausflüchten nicht beizukommen ist; ein Mensch, der gelernt hat, seinen Suchtcharakter als etwas Vorgängiges zu begreifen, als Grundlage seiner weiteren Entfaltung; ein Mensch auch, der mehr Glück als Verstand hatte und durch dieses Glück schließlich zu Verstand kam. Dieses Glück besteht hauptsächlich darin, dass er so viel Unglück überstanden hat.

Eingeständnis einer Lebenskrise

Als Eric Clapton im Frühjahr 1974 zugab, die vergangenen Jahre heroinbedingt auf „einer Wolke aus rosa Baumwolle“ geschwebt zu sein, da hörte sich das nach einer aufregenden Mitteilung an; aber es war nur das rocktypische Eingeständnis einer Lebenskrise, an deren Ende dann fast automatisch die menschliche und künstlerische Reifung steht. Die Öffentlichkeit neigt, versorgt mit stichwortartigen Informationen über prominente Tote, dazu, dergleichen zu dämonisieren. In Claptons Fall war das Heroin, verglichen mit dem Alkohol, fast ein Kinderspiel, und es ist geradezu erschütternd zu lesen, wie sehr die Trinkerei sein Denken und Fühlen beherrschte. Wenn man es trotzdem bedauert, dass er damit, nach aberwitzig vielen Rückfällen, aufgehört hat, dann aus einem einzigen Grund: Seine Musik war früher besser.

Es wäre töricht, hier einen direkten Zusammenhang zu unterstellen; immerhin erwähnt Clapton aber mehrmals, wie langweilig und wenig inspirierend sein Dasein in den ersten Trockenzeiten war und wie merkwürdig ihm sein eigener Sound vorkam. Es ist eine Binsenweisheit, dass die persönlichen Umstände beim Entstehen von Kunst oft nicht die günstigsten sind, wenn Unglück nicht überhaupt deren Voraussetzung ist.

Das nie eingespielte Glücksalbum

Clapton scheint es ähnlich zu sehen: „Nach einer Weile“, heißt es über das Jahr 2003, als er schon auf die Sechzig zuging, „wurde es Zeit für das nächste Album, und die Songs darauf sollten von den großartigen Dingen handeln, die sich in meinem Leben abspielten. Es ist gar nicht so einfach, Songs über das Glück zu schreiben, aber ich wollte vor aller Welt bekunden, wie radikal sich mein Leben geändert hatte.“ Schubert war kein Bluesmusiker; aber dachte Clapton an ihn, der gesagt hat, Musik, die nicht traurig sei, gebe es gar nicht? Es ist jedenfalls überflüssig zu erwähnen, dass dieses Glücksalbum nie eingespielt wurde. Stattdessen nahm Clapton eines auf, das ausschließlich Robert-Johnson-Material enthielt, Songs also jenes als Genie verehrten Musikers, der an der mythischen Crossroad in Mississippi dem Teufel seine Seele verschrieben haben will.

Wenn man so will, dann stehen auch Leben und Karriere dieses Gitarristen im Zeichen eines Kreuzes, das sich aus zwei Linien ergibt. Die eine ist die Bürde seiner enormen technischen Fertigkeiten, die ihm wohl erstmals spürbar wurde in der Londoner Wandschmiererei „Clapton is God“. Es hätte nahegelegen, dieses bis zum Überdruss zitierte, aber seiner Meisterschaft irgendwie eben doch gerecht werdende Diktum auszuschlachten. Clapton aber umkreist es wie einen blinden Fleck, und wer ihn schon ein wenig kannte, der weiß jetzt, dass es keine Koketterie war, als er gegen diese Art von Verehrung, so reizvoll sie bisweilen auch sein mochte, frühzeitig protestierte. Die Allüren, die er zerknirscht aufzählt, stehen auf einem anderen Blatt: „In mir hat schon immer ein Verrückter geschlummert, der nur darauf wartete, herauszukommen, und mit dem Trinken gab ich ihm die Erlaubnis.“

Gott und schwer Geprüfter

Die andere Linie, die seine Virtuosität irgendwann durchkreuzt, ist der künstlerisch fragwürdige Erfolg der späteren Phase, der sich verdichtete in „Tears in Heaven“, jenem Lied, mit dem Clapton den Unfalltod seines fünfjährigen Sohnes Conor im März 1991 verarbeitete. Die drei Seiten, auf denen diese Tragödie beschrieben wird, gehören zum Schlichtest-Anrührendsten des Buches und treiben auch dem, der die allgemeine Rührseligkeit reserviert betrachtet, Tränen in die Augen. Und es ehrt Clapton, dass er von den Skrupeln spricht, die ihn zunächst davon abhielten, mit seiner Trauermusik an die Öffentlichkeit zu gehen.

Zwei Linien, die sich überschneiden: der Gitarrengott und der privat schwer, man ist geneigt zu sagen: schwerer als mancher Kollege Geprüfte - was bedeutet dieses Kreuz? Es ist die Sollbruchstelle einer mit bemerkenswerter Selbstkritik geschriebenen und wahrscheinlich nur sehr wenig geschönten Autobiographie, in der sich Clapton, sicherlich unbeabsichtigt, als exemplarischer Künstler präsentiert. Viele große Rockmusiker standen vor dem Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz, wenige haben ihn so heftig durchlebt wie er.

Er schämte sich für Cream

Wir sehen Clapton also vor uns: das englische „Landei“, das bei den Großeltern aufwächst; den jede Form von Pop anfangs strikt ablehnenden, rechthaberischen Musikfanatiker, der sich selbst und alle seine Bands immer nur an der besseren Möglichkeit misst und bei allem Hang zum Superlativ erstaunlich sachlich bleibt, wenn es um seinen Beruf geht („Außerdem stellt sich, wenn man vor einem Publikum spielt, das einen allzu bereitwillig geradezu anhimmelt, irgendwann Selbstgefälligkeit ein. Ich fing an, mich für Cream zu schämen, weil ich fand, dass die Band ein Schwindel war.“ Er schämte sich für „Cream“!); wir sehen den im Grunde wenig selbstbewussten Mann mit dem enormen Frauenverschleiß und das Beziehungsdrama mit Pattie Boyd, die er George Harrison ausgespannt und in seinem wohl berühmtesten Song „Layla“ verewigt hat; schließlich den späten und desto glücklicheren Familienvater: „Mein Gott, wie normal mein Leben wurde.“ Für seine Musik gilt das dann leider auch.

Das übersinnliche Spintisieren Robert Johnsons ist Clapton fremd, dazu ist er viel zu nüchtern. Aber besessen ist er vom Blues auch. Diese Tatsache hat man sich lange Zeit nur unter dem Aspekt des Trostlos-Berserkerhaften vorgestellt; jetzt sind wir schlauer und entdecken in dieser tief empfundenen Leidenschaft geradezu etwas Schalkhaftes. Der Schmerzensmann, der ja zwischenzeitlich schon wie ein Bibliotheksangesteller daherkam, erinnert sich, wie der verstorbene Atlantic-Präsident, sein Freund und früher Förderer Ahmet Ertegun, ihm einst im Suff folgende Songzeilen vorsang: „Heaven, please send, to all mankind, understanding und peace of mind. But if it's not asking too much, please send me someone to love.“ Und Clapton erläutert: „Ich glaube, für ihn war das die Essenz der schlichten Ironie, die der Blues so oft verkörpert.“ Für Clapton sicherlich auch.

Eric Clapton: „Mein Leben“. Aus dem Englischen von Kristian Lutze und Werner Schmitz. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 350 S., geb., Abb., 19,90 Euro.

Buchtitel: Mein Leben
Buchautor: Clapton, Eric

Text: F.A.Z., 29.10.2007, Nr. 251 / Seite 37

Sonntag, 28. Oktober 2007

BEAR FAMILY

Die größte Fundgrube mit gefilmter klassischer Country Music aus den Endfünfziger- und Frühsechziger-Jahren, die es jemals gegeben hat!
Um 1956/57 drehten die United States Armed Services eine Reihe von Rekrutierungsfilmen mit den damals bekanntesten Country-Stars. Jahrzehntelang waren diese Filme nicht zu sehen, die einige der populärsten Nashville- Künstler präsentieren, wie sie viele ihrer größten Hits singen. Es handelt sich um klassische Liveauftritte, und es ist die einzige Chance für viele von uns, diese Giganten der Country Music auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zu sehen und zu hören. Für viele Fans ist es immer ein Traum geblieben, in den 50er Jahren in Nashville dabei gewesen zu sein und diesen Aufmarsch der Top-Stars mitzuerleben. Jetzt wird dieser Traum Realität, die Asse spielen 'live' in jedem Wohnzimmer. Die Bild- und Tonqualität ist lupenrein und kristallklar, es gibt zusätzliche Mini-Biographien und seltene Fotos, die dieses Erlebnis abrunden.

Einzeltitel:

  1. Faron Young: Stay All Night, Stay A Little Longer
  2. Faron Young & Darrell McCall: Forget The Past
  3. Faron Young: Is She All You Thought She'd Be
  4. Army Recruiting Spot
  5. The Jordanaires: Down By The Riverside
  6. Faron Young: A World So Full Of Love
  7. Faron Young: Stay

Donald Fagen

Ein Gespräch mit dem Rockmusiker Donald Fagen

Auf Soundveränderung stand Erschießen

Rockmusik als Jazz: Mit diesem Ansatz und der Fähigkeit, das moderne Studio wie ein Instrument zu behandeln, sind „Steely Dan“ berühmt geworden.

Donald Fagen ist einer der beiden Bandköpfe.

Warum haben Sie eigentlich schon 1974, zwei Jahre nach Gründung von „Steely Dan“, das Touren eingestellt?

Wir waren nur für kurze Zeit und nur ganz am Anfang das, was man eine Live-Band nennen könnte. Richtig gut kannten sich allerdings nur Walter Becker und ich. Der Rest war ein zusammengewürfelter Haufen von Leuten, die nicht wirklich zueinander passten. Dazu kamen all die anderen Probleme: Live hatte man in den siebziger Jahren immer einen fürchterlichen Sound. Dann noch diese miesen Hotels und das ewige Herumreisen – es machte einfach keinen Spaß! Deshalb haben wir das Touren aufgegeben und nur noch Platten aufgenommen . . .

. . . die sich schon bald so gut verkauften, dass Sie zu jedem Tourveranstalter hätten sagen können: Wir spielen live – aber nur zu den Bedingungen von „Steely Dan“.

Tatsächlich gab es nach „Aja“ die Überlegung, wieder auf Tour zu gehen. Als sich aber herausstellte, dass nach dieser Platte fast nur noch Studiomusiker Fans von „Steely Dan“ waren, haben wir das seinlassen. Doch im Ernst: Wir hätten bei einer Tournee wirklich draufgezahlt.

Was ist Ihre schlechteste Tour-Erinnerung?

Schwierig, weil ich mich wie so viele, die die siebziger Jahre erlebt haben, nur ziemlich schlecht an diese Zeit erinnern kann. Einmal waren wir in einem fürchterlichen Motel irgendwo in Nebraska drei Tage lang eingeschneit. Und dann gab es noch diese Heavy-Metal-Bands, für die ausgerechnet wir als Vorband spielen mussten. Das Publikum wollte richtig harten Rock – und bekam „Steely Dan“ im Vorprogramm. Kein Wunder, dass die nicht zugehört haben.

Je länger die siebziger Jahre dauerten, desto mehr verwandelte sich „Steely Dan“ in eine Studio-Band. Walter Becker und Sie waren berühmt-berüchtigt für den Perfektionismus, mit dem Sie im Studio arbeiteten. Was trieb Sie zu dieser Suche nach dem perfekten Sound, dem perfekten Album, dem perfekten Gitarrensolo?

Wenn es um den angeblichen Studiowahnsinn von „Steely Dan“ geht, wird für meinen Geschmack ganz schön übertrieben. Die Musiker kamen für ein Solo ins Studio. Manchmal war der erste Versuch perfekt, manchmal hat es eben ein bisschen Coaching von unserer Seite gebraucht, damit überhaupt klar war, was wir wollten. Was soll daran besonders sein?

Aber für „Gaucho“, das letzte Album vor Ihrer Trennung, brauchten Sie eintausend Studiostunden. Sie sollen den Toningenieur gebeten haben, Sie zu erschießen, wenn Sie auch nur noch um eine einzige Änderung bäten. Da soll kein Perfektionismus im Spiel gewesen sein?

Da wussten wir eben manchmal selbst nicht, wie ein Song genau klingen sollte. Man probiert etwas aus, und schon hat das Auswirkungen auf alles andere, was man schon auf Band zu haben glaubt. Oder der Schlagzeuger hat keinen guten Tag, und auch beim nächsten Termin bekommt er den Groove einfach nicht so hin, wie man sich das vorstellt – dann probiert man eben einen anderen aus. Kann schon sein, dass wir bei „Gaucho“ ein wenig um uns selbst kreisten. Heute ist das einfacher: Wir haben so etwas wie eine feste Band, auf die wir sowohl live wie im Studio zurückgreifen können. „Everything Must Go“– unser letztes Album – haben wir in Rekordzeit aufgenommen.

Gaucho“ war 1980 das vorläufige Ende von „Steely Dan“. Für die nächsten 13 Jahre gingen Sie und Walter Becker getrennte Wege. Bis zum nächsten Album – „Two Against Nature“ – sollte es zwanzig Jahre dauern. Sahen Sie in „Gaucho“ damals einen Triumph oder eine Niederlage?

Wir fühlten einfach nur, dass wir nichts mehr zu sagen hatten. Die Energie, die man aus seiner Jugend mitnimmt und mit der wir sieben Alben bestritten hatten, war mit „Gaucho“ komplett verbrannt. Wir brauchten auch Zeit, um erwachsen zu werden. Und dafür waren diese langweiligen, enttäuschenden achtziger Jahre genau das Richtige.

Inwiefern?

In den Vereinigten Staaten war das die Gegenbewegung zu allem, wofür die sechziger und siebziger Jahre stehen – politisch, spirituell, musikalisch. Viele meiner Generation haben diese Zeit als enttäuschenden Rückschritt empfunden. Eine gute Zeit also, um sich auszuklinken.

Über „Two Against Nature“ schrieb ein Kritiker, dieses Comeback-Album klinge so, als ob seit „Gaucho“ nicht zwanzig Jahre, sondern nur zwanzig Minuten verstrichen wären – was gleichermaßen als Kompliment wie als Vorwurf zu verstehen ist. Was sagen Sie dazu?

Das Kompliment nehme ich gerne an. Wenn es ein Vorwurf sein soll, lautet meine Entgegnung einfach nur: Du kannst mich mal.

Wenn wir es als Kompliment deuten: Wie schaffen Sie es, sich von Musiktrends so erfolgreich abzukapseln, dass 20 Jahre nur nach 20 Minuten Zeitunterschied klingen?

Ich hätte genauso sagen können, dass ich versuche, Musik nach den Regeln der fünfziger oder sechziger Jahre zu machen. Am liebsten höre ich nach wie vor den Jazz der zwanziger bis sechziger Jahre, Rhythm and Blues oder Soul. Musik, die mir nicht gefällt, geht bei mir zum einen Ohr raus wie beim anderen rein. Irgendwann Mitte der siebziger Jahre habe ich aufgehört, Popmusik zu hören.

1993 haben Sie und Walter Becker „Steely Dan“ wiederbelebt – paradoxerweise als Live-Band.

Das hat sich damals so nach und nach ergeben. Ich habe bei der „New York Rock and Soul Revue“ mitgewirkt und gleichzeitig „Kamakiriad“, mein zweites Solo-Album, herausgebracht, produziert von Walter Becker. Ich fragte Walter, ob er nicht Lust hätte, mit der Revue mit auf Tour zu gehen. Und so kam es, dass wir eines Abends auf der Bühne standen und ein paar „Steely Dan“-Songs spielten. Das Management, die Tourbedingungen, die Publikumsreaktion – alles schien zu passen. Die Konzerte machten Spaß. Rückblickend war das so etwas wie der Neuanfang von „Steely Dan“. Seitdem haben wir unsere Live-Band mit jeder neuen Tour verbessert und die genau richtigen Musiker für „Steely Dan“ gefunden.

Haben Sie die neuen Songs von „Two Against Nature“ und „Everything must go“ auch deswegen aufgenommen, weil Sie nicht als Nostalgie-Veranstaltung durch die Lande ziehen wollen?

Klar sind neue Songs wichtig. Sie sorgen dafür, dass „Steely Dan“ lebendig und neu klingen – für uns selbst, aber auch für das Publikum. Live waren allerdings auch viele unserer alten Songs auf eine bestimmte Art und Weise neu – einfach deshalb, weil wir sie in den siebziger Jahren nur im Studio aufgenommen, aber nie auf der Bühne gespielt hatten.

Wie sollen Ihre heutigen Musiker diese Songs von damals aufführen? So originalgetreu wie möglich oder mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit?

Manchmal arrangieren wir die „Steely Dan“-Klassiker um – etwa so, dass ein Maximum an Soliermöglichkeiten entsteht. Im Grunde coachen wir unsere Musiker aber nicht – das sind exzellente Jazzer, die selbst am besten wissen, was sie tun. Unser Gitarrist Jon Herington zum Beispiel spielt die Gitarrensoli gelegentlich so, wie sie ein Larry Carlton oder Robben Ford in den Siebzigern eingespielt haben. Obwohl ich ihn immer dazu ermuntere, die alten Soli zu vergessen. Aber auf mich hört er ja nicht!

Gibt es „Steely Dan“-Klassiker, die Sie aus Ihrem Live-Programm verbannt haben?

Einige Hits wie „Rikki Don’t Lose That Number“ haben wir mittlerweile satt. Auch „Do It Again“ spielen wir eher selten. Und „Reelin’ In The Years“ ist fast jedes Mal ein Riesenproblem.

Im Internet gibt es zahlreiche Websites, die sich akribisch mit der Musik und den obskur raffinierten Songtexten von „Steely Dan“ beschäftigen. Interessiert Sie das? Haben Sie schon mal eine Website wie www.Steelydandictionary.com besucht?

Einmal habe ich mir das angeschaut, aber eigentlich interessiert mich das alles nicht.

Wie nah sind Sie ihrem Klangideal auf der aktuellen Tour?

Viel näher, als wir je zu hoffen wagten. „Steely Dan“ 2007 ist die beste Live-Band, die wir je hatten. Wer zu uns kommt, wird Spaß haben.

Das Gespräch führte Claus Lochbihler.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.07.

DAVID BOWIE

David Bowie zum Sechzigsten

Der weise Pfau

Von Dietmar Dath

08. Januar 2007 Eine Stimme, die klingt wie Papier, das gerade Feuer fängt, wirft sich ans große Nichts weg: „I'm frightened by the total goal / I'm drawing to the ragged hole / And I ain't got the power anymore / No I ain't got the power anymore.“

Das war 1971, auf der Platte „Hunky Dory“. Langhaarig, vornehm, bleich bis zur Schwindsucht, ein Chattertonianer reinsten Wassers, gab David Robert Jones, der sich seit zwei Jahren David Bowie nannte, den Lordsiegelbewahrer der décadence - eine Erscheinung, der man später mit wechselnder Bemalung und Frisur nicht nur auf Plattencovern und Konzertbühnen, sondern auch im Kino vorzugsweise als Gefäß luziferischer Inspiration und Verkörperung des absichtlich Unwahren begegnen sollte. Außerirdische, Vampire und Individuen wie Andy Warhol oder Nikola Tesla, die der Welt nicht erst abhanden kommen mussten, um komplett jenseitig zu wirken, hat er gespielt, als wären sie ungezwungen-naturalistisch aufzufassende Charaktere. Komplementär dazu schien die Figur „David Bowie“, die sich in einem Videoclip einmal als „Lord Byron“ inszenierte, eher der Literatur als der Natur entstiegen (und wurde nicht nur deshalb von Philip K. Dick, dem entrücktesten Klassiker der Sciencefiction, 1980 im Roman „Valis“ als böser Engel „Eric Lampton“ in die Dichtung heimgeholt).

Abwegige Werte und Ideen

Mit seriöser Ausgekochtheit steht Bowie seit 1969 (was davor war, schlummert harmlos in Archiven) für oft stark abwegige Werte und Ideen ein, die sich andere Popstars meistens erst viel später oder lieber nie zu berühren getraut haben: butterweiche Saxophonsoli von dürren weißen Speedfreaks, die Schönheit der West-Berliner Rußfassade als solcher (Diverses circa 1977), zu Blechgestöber zerspellter Hardrock von unterkühlten Krawattenträgern („Tin Machine“ 1989), Singer-Songwriter-Drum-And-Bass („Little Wonder“ auf „Earthling“, 1997), Britpop mit Hirn. . .

Bowies einprägsamste musikalische und schauspielerische Gesten beschwören einen abgefeimt eitlen, ausgezehrten, knochentrockenen Eros und weisen so mit aller Entschiedenheit den virilen Rock 'n 'Roll-Vitalismus zurück, der Urviecher mit Haaren auf dem Rücken und Schnaps im Bart anbetet. Trotzdem bleibt Bowie, selbst umwölkt vom Sprühnebel der Heroin-Schlaffheit seiner Spätsiebziger-Phase, stets Rock 'n 'Roller ohne Furcht und Tadel. Er war Beatnik, Glamboy, Mod; immer aber von jener zuverlässigen Halbseidenheit, die informierte Beobachter jederzeit zu durchschauen glaubten und der doch niemand je ganz auf den Grund gehen konnte, weil da, wo dieser Grund vermutet wird, kein sicherer Boden verfestigter Aussagevorhaben zu finden ist, sondern der Plan eines eminent beweglichen Verhältnisses zur gesamten übrigen Popwelt und -geschichte.

Mehrdeutig und verkopft

Beweisen konnte Bowie während rund vierzig Jahren dieser anstrengenden performance, dass das Mehrdeutige, Sekundaristische und Verkopfte in der Kunst (wenn schon nicht im Zweikampf mit Wildschweinen) jederzeit geeignet ist, das Stämmige, Robuste, Triebhafte und aus lauter Einfallslosigkeit Realistische auszustechen, zu unterlaufen und zu überleben.

Alleine geht so etwas nicht. Umringt von Guten, Bösen und Hässlichen, schuf er Wahres, Schönes und (zum Glück selten) Kunstgewerbliches: Brian Eno holte er sich für die nötige metaphysische Blasiertheit; Iggy Pop fürs gesunde Kranksein; Carlos Alomar für taubenweiße Reinheit bei der Melodieführung; Tony Visconti für Produzentenweisheit in Dosen und vierzigtausend längst vergessene Heinzelmännchen und -weibchen für dolle Ideen wie die Ausgabe von Anteilscheinen an seiner Zukunft, Tapetenmuster oder das abstruse Video zu „Day in, Day Out“ (1987), in dem es um Vergewaltigung und Rollschuhfahren in engen Hosen geht.

Eine der verkehrtesten Gedankenlosigkeiten beim Loben und Tadeln erfolgreicher Popkünstler von auch nur einiger Originalität ist die billige Rede vom Identitätenwechsel. Wenn der Antiterrorpolizist Jack Bauer sich als Frank Wurst in eine Täterzelle einschleicht oder das transgendered Männchen Tim Schulze zur flamboyanten Tina wird, liegt womöglich wirklich in juristisch, sozio- oder psychologisch fassbarem Sinn Identitätsveränderung vor. Was aber David Bowie macht, wenn er statt Ziggy Stardust lieber Aladdin Sane sein mag, nennt man Rollentausch.

Die Gewissheit der Kontinuität

Der Unterschied ist leicht zu begreifen: Wer seine Rollen in aller Öffentlichkeit häufig wechselt, befestigt beim Publikum gerade die Gewissheit der Kontinuität (und Souveränität) der Person („Das kann sich nur David Bowie / Madonna / etc. erlauben“); wer dagegen die eigene Identität verändert, also die meisten oder gar alle erprobten Anschlussstellen zwischen sich und anderen ungültig macht, beschädigt diese Gewissheit mit vollem Risiko - nicht nur bei Fremdbeobachtern, sondern auch bei sich selbst.

Die folgenreichste Selbstumdeutung, die sich David Bowie hat einfallen lassen, war (und bleibt) allerdings genau deshalb interessant, weil sie den Rollentausch, den er bis heute übt, zumindest ein einziges Mal bis an die Grenze der Identitätsüberdehnung führte: Am 22. Januar 1972 erschien das britische Musikblatt „Melody Maker“ mit einem Bowie-Interview, das den schlichten Satz enthielt: „I'm gay and I always have been, even when I was David Jones.“ Die Auskunft, dass Bowie schwul sei, wurde bald als Bekenntnis der „Bisexualität“ variiert - diese Variante lässt sich sowohl als clevere Verwässerung der ursprünglichen Behauptung wie als radikalisierende Zuspitzung der Verweigerung heterosexueller Eindeutigkeit lesen (heute steht für diese zweite Option der nützlichere Ausdruck queer zur Verfügung).

Maßloser Narzissmus

Bowies Ex-Frau Angela hat vermutlich ganz recht, wenn sie in ihren 1993 erschienenen Schmuddelmemoiren „Backstage Passes“ den Bowie jener Zeit als berechnenden, vom Ehrgeiz zerfressenen Image-Instrumentalisten schildert, den sowohl greuliche Selbstzweifelattacken wie maßloser Narzissmus umtrieben. Auf solche Leute ist Kunst angewiesen - was ein in sich ruhender, über seine Beweggründe restlos aufgeklärter Mensch so zusammenträumt, kann man vielleicht mögen; aber es züngelt, glüht und funkelt nicht.

Bowies sexy giftige Selbstbesessenheit dagegen hat ihm, weil er ihr nachgegangen ist bis in die noble Leere elektroakustischer Wummermusik (am besten auf „Low“ 1977), etwas wie eine höhere Selbstlosigkeit beschert - anstatt über sein Werk zu verfügen, hat er sich davon in lauter Einzelteile, phantastische Textzeilen, unvergessliche Bilder zerlegen lassen; was als smarte Strategie begann, wurde Weisheit. Heute wird dieses wunderschöne Monster sechzig Jahre alt.

Text: F.A.Z., 08.01.2007, Nr. 6 / Seite 31

Marianne Faithfull

Marianne Faithfull

Die gebrochene Englische

Von Edo Reents

29. Dezember 2006 Die im Zusammenhang mit ihr am häufigsten verwendeten Ausdrücke sind „Muse“, „Traumpaar“ und „Comeback“. In ihrer Klischeehaftigkeit sind sie natürlich längst zu Tode geritten - das haben sie der Sängerin, die damit seit mehr als vierzig Jahren bedacht wird, voraus: An Marianne Faithfull kann man studieren, was Überleben heißt. Und doch umreißen die Ausdrücke recht genau, worum es in ihrem Leben geht.
Wer ein Comeback feiert, aber mit dem Begriff nicht einverstanden ist, sagt in der Regel: „Wieso Comeback? Ich war doch nie weg!“ Marianne Faithfull hält es umgekehrt: „Ich hasse das Wort. Ich hatte so viele angebliche Comebacks, dabei war ich doch eigentlich nie richtig da.“ Wenn eine immerhin weltberühmte Sängerin so etwas von sich behauptet, dann ist das entweder Koketterie - die man ihr nicht zu unterstellen braucht -, oder es ist die traurige Einsicht in die Tatsache, daß ihre Karriere noch von etwas anderem als Talent - das man ihr unterstellen sollte - bestimmt wurde.

Das böse Rockjahr 1969

Es muß eine aufregende, schlimme, böse Szene gewesen sein, als Marianne Faithfull 1964 in der Stadt, die „Swingin' London“ hieß, Andrew Loog Oldham begegnete, jenem so aufschneiderischen wie rücksichtslosen Manager, der sie seinen Schützlingen vorstellte. Und das muß ein noch aufregenderer, schlimmerer, böserer Moment gewesen sein - sofort warfen Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones ihre, anders wird es kaum gewesen sein: geilen Augen auf die gerade Siebzehnjährige und wandten sie erst wieder ab, als Marianne Faithfull ruiniert war, gesundheitlich wie finanziell. Das war dann im bösen Rockjahr 1969, in dem Brian Jones starb und der Horror von Altamont losbrach.
Was dazwischenlag, ist ebenfalls bekannt: der Welthit „As Tears Go By“, den ihr Jagger/Richards auf den Klosterschülerinnenleib geschrieben hatten und den sie mit seltsam unberührter, mädchenklarer Stimme zum besten gab. Es folgten weitere Hits wie „Come and Stay With Me“ und „This Little Bird“, die den folgenden Fall dieses „Engels mit Titten“, wie Oldham sie boshaft genannt hatte, nur um so tiefer erscheinen ließen. Das neue Jahrzehnt hielt eine veritable Obdachlosenexistenz, immer noch in London, für sie bereit; das Sorgerecht für ihren 1965 geborenen Sohn (ein Rolling Stone war nachweislich nicht der Vater) wurde ihr entzogen.

Völlig rauchig gewordener Gesang

Aber dann, nach der bereits recht schönen Countrypop-Platte „Dreamin' My Dreams“ mit der von Waylon Jennings geschriebenen Titelnummer (1976), kam im Spätherbst 1979 ihre gültigste Rückmeldung: „Broken English“, diese bittere, wunderbare Platte war weniger ein Comeback als vielmehr ein Hilfeschrei mit exakt zehn Jahren Verspätung. (Ich weiß noch genau, als der Shel-Silverstein-Song „The Ballad of Lucy Jordan“ aus meinem Saba-Radiorekorder kam: das traurig wimmernde Keyboard, und ich hätte jede Wette gehalten, daß sich hier eine schwarze Sängerin die Reste ihrer Seele aus dem entweihten Leib wringt. Es ist bis heute ihr bestes Lied, so melodramatisch und zu Herzen gehend wie ein Film von Douglas Sirk.)
Auch das übrige Material war in der seltsam aseptischen Bearbeitung und mit dem nunmehr völlig rauchig gewordenen Gesang so überraschend und qualitätsvoll, daß „Broken English“ für immer eine der großen Frauenrockplatten bleiben wird: das Titelstück, das die Baader-Meinhof-Terroristen bedachte, die schmerzliche Anklage „Why'd Ya Do It“ und Lennons „Working Class Hero“.

Nie über ihr Dasein als Mick Jaggers Muse beklagt

Zur Arbeiterklasse hatte sie selber nie gehört. Die als Tochter eines Offiziers (andere sagen: Literaturprofessors) und einer österreichischen, der Sacher-Masoch-Familie entstammenden Adeligen im vornehmen Londoner Stadtteil Hampstead Geborene verkörperte vielmehr auf fast schon bemitleidenswert perfekte Weise die Dekadenz und Haltlosigkeit einer auf Hedonismus getrimmten Ära, und es war einfach Pech, daß sie an misogyne Genies geriet, bei denen der Überlebenswille am Ende doch stärker war als der Geschlechtstrieb.
Es spricht dabei für ihren Stil, daß sie sich über ihr Dasein als Mick Jaggers Muse öffentlich nie beklagt hat. Und sowieso: Was wäre ohne diese Bekanntschaften aus ihr geworden? Wegen ihrer späteren, alles andere als unpassenden Brecht/Weill-Songs, ihrer gewiß nicht abwegigen Ambitionen, die „Marlene Dietrich des Rock“ zu werden, und wegen der mit Hilfe jüngerer Musikprominenz vollzogenen, respektable Ergebnisse abwerfenden musikalischen Frischzellenkuren allein würde man sie an diesem Freitag, an dem Marianne Faithfull sechzig Jahre alt wird, nicht ganz so triftig zu beglückwünschen haben. Wer spricht, fragt Rilke, von Siegen? Überstehen ist alles.

Text: F.A.Z., 29.12.2006, Nr. 302 / Seite 31