Eric Claptons Autobiographie Die Qual der Nüchternheit Von Edo Reents |
29. Oktober 2007 Wer dieses Buch gelesen hat, verspürt sofort das Bedürfnis, alle seine Eric-Clapton-Platten aus dem Schrank zu holen und sie der Reihe nach durchzuhören, um sich eine Frage zu beantworten: Wer ist mir lieber - der alte, frühe Clapton oder der neue, späte?
Musikalisch kann es hier keinen Zweifel geben; jeder an Rockmusik Interessierte wird der ersten Hälfte in der mehr als vierzigjährigen Karriere des englischen Gitaristen den Vorzug geben. Und doch schämt man sich für diese Einschätzung, weil man nun weiß, wie schwer es dieser Mann sich und anderen in dieser Zeit gemacht hat, und zwar aus einem einzigen Grund: Eric Clapton ist Alkoholiker - seit langem trocken zwar; aber schon ein Gläschen würde das Kartenhaus seines privaten Glücks zum Einsturz bringen.
Ich würde alles verlieren
Nur deswegen sieht man - und sieht hoffentlich auch seine Familie - ihm eine Äußerung ganz am Ende seiner Autobiographie „Mein Leben“ nach, die von solch ungeheuerlicher Aufrichtigkeit ist, dass man nicht weiß, was man dazu sagen soll: „Meine Frau und meine Kinder schenken mir täglich Glück und Freude, und wenn ich kein Alkoholiker wäre, würde ich mit Vergnügen sagen, sie seien das Allerwichtigste in meinem Leben. Aber das geht nicht, denn ich weiß, wenn ich meine Nüchternheit nicht ganz oben auf die Liste setze, werde ich alles verlieren.“
So etwas kann nur ein kranker Mensch sagen, und Clapton macht auch gar keine Anstalten, sich da in dem Sinne herauszureden, seine Familie sei ihm so wichtig, dass er alles dafür täte, sie zu erhalten, selbst wenn er sie dafür an die zweite Stelle setzen müsste. „Aber das geht nicht“ - so etwas kann nur ein Mensch sagen, der spürt, dass es Lebenstatsachen gibt, denen mit Dialektik und anderen Ausflüchten nicht beizukommen ist; ein Mensch, der gelernt hat, seinen Suchtcharakter als etwas Vorgängiges zu begreifen, als Grundlage seiner weiteren Entfaltung; ein Mensch auch, der mehr Glück als Verstand hatte und durch dieses Glück schließlich zu Verstand kam. Dieses Glück besteht hauptsächlich darin, dass er so viel Unglück überstanden hat.
Eingeständnis einer Lebenskrise
Als Eric Clapton im Frühjahr 1974 zugab, die vergangenen Jahre heroinbedingt auf „einer Wolke aus rosa Baumwolle“ geschwebt zu sein, da hörte sich das nach einer aufregenden Mitteilung an; aber es war nur das rocktypische Eingeständnis einer Lebenskrise, an deren Ende dann fast automatisch die menschliche und künstlerische Reifung steht. Die Öffentlichkeit neigt, versorgt mit stichwortartigen Informationen über prominente Tote, dazu, dergleichen zu dämonisieren. In Claptons Fall war das Heroin, verglichen mit dem Alkohol, fast ein Kinderspiel, und es ist geradezu erschütternd zu lesen, wie sehr die Trinkerei sein Denken und Fühlen beherrschte. Wenn man es trotzdem bedauert, dass er damit, nach aberwitzig vielen Rückfällen, aufgehört hat, dann aus einem einzigen Grund: Seine Musik war früher besser.
Es wäre töricht, hier einen direkten Zusammenhang zu unterstellen; immerhin erwähnt Clapton aber mehrmals, wie langweilig und wenig inspirierend sein Dasein in den ersten Trockenzeiten war und wie merkwürdig ihm sein eigener Sound vorkam. Es ist eine Binsenweisheit, dass die persönlichen Umstände beim Entstehen von Kunst oft nicht die günstigsten sind, wenn Unglück nicht überhaupt deren Voraussetzung ist.
Das nie eingespielte Glücksalbum
Clapton scheint es ähnlich zu sehen: „Nach einer Weile“, heißt es über das Jahr 2003, als er schon auf die Sechzig zuging, „wurde es Zeit für das nächste Album, und die Songs darauf sollten von den großartigen Dingen handeln, die sich in meinem Leben abspielten. Es ist gar nicht so einfach, Songs über das Glück zu schreiben, aber ich wollte vor aller Welt bekunden, wie radikal sich mein Leben geändert hatte.“ Schubert war kein Bluesmusiker; aber dachte Clapton an ihn, der gesagt hat, Musik, die nicht traurig sei, gebe es gar nicht? Es ist jedenfalls überflüssig zu erwähnen, dass dieses Glücksalbum nie eingespielt wurde. Stattdessen nahm Clapton eines auf, das ausschließlich Robert-Johnson-Material enthielt, Songs also jenes als Genie verehrten Musikers, der an der mythischen Crossroad in Mississippi dem Teufel seine Seele verschrieben haben will.
Wenn man so will, dann stehen auch Leben und Karriere dieses Gitarristen im Zeichen eines Kreuzes, das sich aus zwei Linien ergibt. Die eine ist die Bürde seiner enormen technischen Fertigkeiten, die ihm wohl erstmals spürbar wurde in der Londoner Wandschmiererei „Clapton is God“. Es hätte nahegelegen, dieses bis zum Überdruss zitierte, aber seiner Meisterschaft irgendwie eben doch gerecht werdende Diktum auszuschlachten. Clapton aber umkreist es wie einen blinden Fleck, und wer ihn schon ein wenig kannte, der weiß jetzt, dass es keine Koketterie war, als er gegen diese Art von Verehrung, so reizvoll sie bisweilen auch sein mochte, frühzeitig protestierte. Die Allüren, die er zerknirscht aufzählt, stehen auf einem anderen Blatt: „In mir hat schon immer ein Verrückter geschlummert, der nur darauf wartete, herauszukommen, und mit dem Trinken gab ich ihm die Erlaubnis.“
Gott und schwer Geprüfter
Die andere Linie, die seine Virtuosität irgendwann durchkreuzt, ist der künstlerisch fragwürdige Erfolg der späteren Phase, der sich verdichtete in „Tears in Heaven“, jenem Lied, mit dem Clapton den Unfalltod seines fünfjährigen Sohnes Conor im März 1991 verarbeitete. Die drei Seiten, auf denen diese Tragödie beschrieben wird, gehören zum Schlichtest-Anrührendsten des Buches und treiben auch dem, der die allgemeine Rührseligkeit reserviert betrachtet, Tränen in die Augen. Und es ehrt Clapton, dass er von den Skrupeln spricht, die ihn zunächst davon abhielten, mit seiner Trauermusik an die Öffentlichkeit zu gehen.
Zwei Linien, die sich überschneiden: der Gitarrengott und der privat schwer, man ist geneigt zu sagen: schwerer als mancher Kollege Geprüfte - was bedeutet dieses Kreuz? Es ist die Sollbruchstelle einer mit bemerkenswerter Selbstkritik geschriebenen und wahrscheinlich nur sehr wenig geschönten Autobiographie, in der sich Clapton, sicherlich unbeabsichtigt, als exemplarischer Künstler präsentiert. Viele große Rockmusiker standen vor dem Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz, wenige haben ihn so heftig durchlebt wie er.
Er schämte sich für Cream
Wir sehen Clapton also vor uns: das englische „Landei“, das bei den Großeltern aufwächst; den jede Form von Pop anfangs strikt ablehnenden, rechthaberischen Musikfanatiker, der sich selbst und alle seine Bands immer nur an der besseren Möglichkeit misst und bei allem Hang zum Superlativ erstaunlich sachlich bleibt, wenn es um seinen Beruf geht („Außerdem stellt sich, wenn man vor einem Publikum spielt, das einen allzu bereitwillig geradezu anhimmelt, irgendwann Selbstgefälligkeit ein. Ich fing an, mich für Cream zu schämen, weil ich fand, dass die Band ein Schwindel war.“ Er schämte sich für „Cream“!); wir sehen den im Grunde wenig selbstbewussten Mann mit dem enormen Frauenverschleiß und das Beziehungsdrama mit Pattie Boyd, die er George Harrison ausgespannt und in seinem wohl berühmtesten Song „Layla“ verewigt hat; schließlich den späten und desto glücklicheren Familienvater: „Mein Gott, wie normal mein Leben wurde.“ Für seine Musik gilt das dann leider auch.
Das übersinnliche Spintisieren Robert Johnsons ist Clapton fremd, dazu ist er viel zu nüchtern. Aber besessen ist er vom Blues auch. Diese Tatsache hat man sich lange Zeit nur unter dem Aspekt des Trostlos-Berserkerhaften vorgestellt; jetzt sind wir schlauer und entdecken in dieser tief empfundenen Leidenschaft geradezu etwas Schalkhaftes. Der Schmerzensmann, der ja zwischenzeitlich schon wie ein Bibliotheksangesteller daherkam, erinnert sich, wie der verstorbene Atlantic-Präsident, sein Freund und früher Förderer Ahmet Ertegun, ihm einst im Suff folgende Songzeilen vorsang: „Heaven, please send, to all mankind, understanding und peace of mind. But if it's not asking too much, please send me someone to love.“ Und Clapton erläutert: „Ich glaube, für ihn war das die Essenz der schlichten Ironie, die der Blues so oft verkörpert.“ Für Clapton sicherlich auch.
Eric Clapton: „Mein Leben“. Aus dem Englischen von Kristian Lutze und Werner Schmitz. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 350 S., geb., Abb., 19,90 Euro.
Buchtitel: Mein Leben
Buchautor: Clapton, Eric
Text: F.A.Z., 29.10.2007, Nr. 251 / Seite 37