Gespräch mit Geoff Emerick, dem Toningenieur der berühmtesten Band der Welt
Ich war der sechste Beatle
Einen Sack Flöhe zu hüten muss leichter sein: Geoff Emerick, Jahrgang 1946, war bei Jahrhundertalben wie „Revolver“ und „Abbey Road“ der Mann hinter den Reglern.
Wem haben Sie es zu verdanken, dass Sie Toningenieur der Beatles wurden: Mr. Barlow vom Arbeitsamt oder Pink Floyd?
Dem netten Mr. Barlow, würde ich sagen. Er war es, der mir, einem Jungen von fünfzehn Jahren, das Vorstellungsgespräch bei der Plattenfirma EMI vermittelt hat. Dass ich später Toningenieur der Beatles wurde, hat natürlich schon mit Pink Floyd zu tun. Norman Smith, der die Beatles von 1962 bis 1965 aufgenommen hat, wollte die frühen Pink Floyd produzieren. Bei EMI konnte man damals aber nicht gleichzeitig Produzent und Toningenieur sein. So kam es, dass von einem Tag auf den anderen ich für die Beatles-Aufnahmen verantwortlich wurde.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die EMI-Studios, die heute als Abbey-Road-Studio weltberühmt sind, als einen muffigen Ort, der so ziemlich genau das Gegenteil von Pop war: altmodisch verstaubt, spätviktorianisch, reglementiert.
Das Ganze war so etwas wie ein Abbild der englischen Klassengesellschaft. Als ich 1962 dort mit fünfzehn anfing, hatten die Leute von der Klassik das Sagen. Auf die kleine Pop-Fraktion blickte man herab. Und es schien Regeln für alles zu geben, von der Plazierung der Mikrofone über die Kleidung bis hin zum Verhalten gegenüber den Musikern. Man sollte mit den Künstlern nur dann reden, wenn sie einen zuvor angesprochen hatten. Schuhe mussten glänzen, Krawatte war Pflicht, und die Anzugsjacke durfte man im Tonstudio nur dann ablegen, wenn man um Erlaubnis gebeten hatte.
In ihren Memoiren („Du machst die Beatles!“) bekommt man den Eindruck, dass für den Toningenieur vor allem John Lennon eine Herausforderung darstellte.
John hatte ganz genaue Vorstellungen, wie etwas klingen sollte; vor allem, was seine Stimme betrifft. Seine Vorgabe war: Mach es so, dass ich nicht nach mir klinge. Doch konnte er seine Vorstellungen oft nicht rüberbringen. Also musste man das interpretieren. Das fing schon beim ersten Song meiner allerersten Session als Toningenieur an: „Tomorrow Never Knows“ auf dem Album „Revolver“. Da wollte Lennon, dass seine Stimme so klingt, als würde der Dalai Lama von einem weit entfernten Berggipfel herunter singen. Damals hatten wir keine Software oder irgendwelche Effektgeräte, durch die man seine Stimme hätte jagen können. Was wir hatten, waren Mikrofone, ein Mischpult, vier Tonspuren und eine Echokammer. Das war’s! Deswegen musste man sich jedes Mal etwas Neues ausdenken.
Wie bekamen Sie den Dalai Lennon hin?
Wir haben seine Stimme durch die im Kreis rotierenden Lautsprecher einer Leslie-Orgel gejagt. Das gefiel ihm.
Je länger Sie mit den Beatles arbeiteten, desto anstrengender wurde es. „Sergeant Pepper“ wurde über viereinhalb Monate vor allem nachts aufgenommen.
Trotzdem habe ich gerade diese Aufnahmen in bester Erinnerung. Wir haben damals mit Klangexperimenten und Sounds gearbeitet, die wir zum Teil schon für „Revolver“ im Jahr zuvor entwickelt hatten. Diesmal konnten wir sie kontrollierter einsetzen. Außerdem schien alles, was die Beatles anfassten, zu klappen. Die erste Nummer, die wir aufgenommen haben, war „Strawberry Fields“ – eine solche Nummer gleich zu Beginn! Irgendwie übertraf jeder weitere Song den davor.
Welche Einspielung war das größte Erlebnis für Sie?
„A Day in the Life“. Uns lief es kalt den Rücken herunter, als John Lennon zum ersten Mal darüber sang. Noch stärker war der Eindruck, als wir uns den Song anhörten, nachdem wir dieses berühmte Orchester-Crescendo eingefügt hatten. Das war, wie wenn man sich einen Schwarzweißfilm anschaut, und auf einmal ist er in Farbe zu sehen! Keiner, der damals im Studio war, hatte in seinem Leben jemals einen solchen Pop-Song gehört.
Wenn es nach Elvis Costello geht, waren Sie bei „Sergeant Pepper“ mehr als nur Toningenieur. Für ihn sind Sie der eigentliche Koproduzent des Albums. Dabei hat man Sie damals auf dem Plattencover nicht einmal erwähnt.
Das war noch nicht üblich. Immerhin habe ich später einen Grammy dafür bekommen. Was Elvis Costello betrifft: Das ist natürlich sehr schmeichelhaft, was er da über mich gesagt hat. Da wird schon ein bisschen was dran sein.
Gilt umgekehrt, dass in dem Maße, in dem die Beatles selbstbewusster wurden und das Studio für ihre Musik immer wichtiger, die Rolle von George Martin als Produzent abnahm?
Das war schon so. Beim „White Album“, das ich etwa zur Hälfte aufnahm, bevor ich es nicht mehr aushielt und ging, hatte er die Kontrolle über die Beatles so ziemlich verloren. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: George Martins Bedeutung für die Beatles, ihren Sound, ihre Harmonien, ihren Gruppengesang, die Struktur ihrer Songs war immens, auch wenn er zum Ende hin nicht mehr die Rolle hatte wie zu Beginn.
Von George Martin stammt der Satz, „Sergeant Pepper“ wäre mit vierundzwanzig Tonspuren auch nicht besser geworden als mit vier Spuren.
Mit weniger Spuren ist man eben gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Mit den heutigen digitalen Aufnahmeverfahren sind die Möglichkeiten nahezu grenzenlos, damit aber auch die Variablen. Deswegen läuft man Gefahr, im Kreis zu laufen.
Wann haben Sie eigentlich zum ersten Mal gemerkt, dass die Beatles sich auseinanderentwickeln?
Am Tag vor ihrem Abflug nach Indien hatten sie „Hey, Bulldog“ eingespielt. Da herrschte noch allerbeste Stimmung. Als sie aus Indien zurückkamen, waren sie wie verwandelt: zornige Typen, die auf einmal doppelt so laut spielten – was meinen Job auch nicht gerade leichter machte.
Wenn man „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ vom „Weißen Album“ hört, würde man nicht vermuten, dass ausgerechnet bei diesem Song alles überkochte.
Lennon hat diesen Song einfach nur gehasst! Es war kein Zufall, dass sich die ganzen Spannungen entluden, als McCartney seinen Gesang zum ich weiß nicht wievielten Mal noch mal aufnehmen wollte. Bei diesem Song wurde mir der ganze Ärger, den die Beatles untereinander hatten, einfach zu viel. Am nächsten Tag habe ich erklärt, dass ich aufhöre.
Was haben Sie empfunden, als das „Weiße Album“ schließlich herauskam?
Ich habe mir dieses Album bis heute nie angehört. Natürlich kenne ich einzelne Songs daraus, allein schon, weil sie immer wieder im Radio laufen; aber freiwillig oder als Ganzes: bis heute nicht. Es geht einfach nicht. Ich habe so unglaublich schlechte Erinnerungen an diese Aufnahmen – das käme alles hoch.
Bei „Abbey Road“ saßen Sie doch noch einmal für die Beatles am Mischpult. War Ihnen klar, dass das ihr letztes Album sein würde?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte auch keinen Grund, so etwas zu glauben; schließlich war ich derjenige, der den Beatles damals ihr Apple-Studio, das Magic Alex, ihr seltsamer Technik-Guru, total vermurkst hatte, wieder auf Vordermann brachte. Warum sollte ich da glauben, dass die Beatles sich auflösen würden? Außerdem war die Atmosphäre viel besser als beim „Weißen Album“.
Wie kam das?
George Martin hatte zur Bedingung gemacht, dass sie wieder zu einer normalen, einigermaßen kontrollierten Arbeitsweise zurückkehren und sich dabei einigermaßen gesittet benehmen. Es war zwar nicht so wie in den guten alten Tagen. Die Freundschaft der Beatles war einfach nicht mehr da. Das merkte man zum Beispiel, wenn einer seinen Solo-Part aufnehmen musste. Früher wären die anderen dabeigeblieben – einfach aus Neugierde und um dabei zu sein. Jetzt fuhren sie nach Hause und haben den anderen allein gelassen.
Haben Sie sich dieses Jahr „Love“ angehört, den Beatles-Remix von George Martins Sohn?
Nein. Werde ich auch nicht.
Weshalb?
Dieses „Love“-Album ist für mich so, wie wenn jemand an einem großen Kunstwerk herumpfuscht – als ob jemand an der Sixtinischen Kapelle herummalte, weil er glaubt, er könne es besser. So etwas macht man doch nicht! Und dann noch so tun, als ob das jetzt eine neue Beatles-Scheibe wäre, obwohl zwei Beatles schon nicht mehr leben.
Verraten Sie uns zum Schluss noch, ob Sie der fünfte Beatle sind?
Wenn überhaupt, dann ist das George Martin. Wenn es einen sechsten Beatle geben sollte, dann vielleicht Norman Smith und mich.
Das Gespräch führte Claus Lochbihler.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.12.2007 Seite 40