Bruce Springsteen
Rocker fordern: Mindestlohn für ehrliche Arbeit!
Von Edo Reents
03. Dezember 2007 Es ist schon merkwürdig, wie aufmerksam es registriert wird, wenn Bruce Springsteen sich über Amerika äußert. Selbst wenn er nur ganz allgemein von „Wahrheit“ und „Lüge“ spricht, wird das schon als brisante Aussage verbucht, die ja wohl ganz unverkennbar gegen die Regierung gerichtet sei. Seit bald einem Vierteljahrhundert, seit der epochemachenden Platte „Born In The U.S.A.“, geht das nun so, dass Springsteen als durch und durch patriotisch und doch irgendwie kritisch gilt. Aber selbst wenn es so sein sollte, dass er etwas gegen George W. Bush hat und froh ist, wenn der Präsident endlich weg ist – so dumm wird er nicht sein, dass er sich dazu ausdrücklich vernehmen ließe; er ist ja kein „Dixie Chick“ und legt auch keinen Wert darauf, dass seine Platten öffentlich verbrannt werden.
Und so hielt er sich denn beim ersten von vorläufig zwei Deutschlandkonzerten in der Mannheimer SAP-Arena vor 13.000 Leuten (am 13. Dezember dann vor vermutlich 16.000 in Köln) auch ziemlich zurück in seinen ohnehin äußerst knappen Ansagen: Bevor er das Titellied seiner jüngsten Platte „Magic“ anstimmte, das hier als fünftes kam, nuschelte er etwas von „truth“ und „lies“ und sang dann los: „Trust none of what you hear / And less of what you see“ – Dinge, die jede vernünftige Mutter ihren Kindern frühzeitig beibringt. Bei Springsteen aber wird daraus sofort ein Statement zum Irak-Krieg, der auf der ganzen Platte nicht eine direkte Erwähnung findet und auch im Konzert nicht fand. Die Gegnerschaft zu einer falschen politischen Entscheidung ist so wenig originell wie die Musik, die sie angeblich transportiert. Ist das womöglich der Grund für die andauernde Befragung zur Politisierung Springsteens: der kleinste gemeinsame Nenner?
„One, two, three, four!“
Auf das Mannheimer Konzert wäre eine andere Kategorie vielleicht eher anzuwenden: der Mindestlohn. Was kriegt so einer, der mit seinen achtundfünfzig Jahren und dem breitbeinig-selbstgewissen Gang so schwer vermittelbar wirkt, eigentlich für diese Malocherei? Hat seine Gewerkschaft dreißig Prozent Lohnzuwachs ausgehandelt, während Kollegen, die doch auch auf dem alten Stahlross der Unterhaltung schuften, aber anders organisiert sind, sich mit fünf zufriedengeben müssen? Es war jedenfalls echte, ehrliche Akkordarbeit, die er hier ablieferte. Seltsam gehetzt und doch von der klassischen Rock-’n’-Roll-Logik zwingend gefordert, leitete er fast jeden der dreiundzwanzig Songs mit einem „One, two, three, four!“ ein, auch wenn der letzte Donnerakkord des jeweils vorigen Lieds noch gar nicht verklungen war.
Auf diese Weise brachte Springsteen das Kunststück fertig, das Programm in gut zwei Stunden hinter sich zu bringen. Spitzfindigkeiten über die heimatliche Situation hätten den Auftritt nur unnötig in die Länge gezogen und dazu geführt, dass weniger gespielt worden wäre. Aber zwei Stunden? Früher wäre das einer Arbeitsverweigerung gleichgekommen, denn da waren es gut und gerne vier. Springsteen und die acht Musiker seiner alten „E-Street Band“, allesamt in rustikales Schwarz oder zumindest Dunkelblau gekleidet, werden eben auch nicht jünger, und für das Publikum, das der Boss von Anfang an im Griff hatte, gilt das genauso: Das waren nicht gerade die iPod-Träger, mit dem Hosenbund schon fast unter der Po-Ritze.
Knüppeldick und laut
Es war, um nun endlich zur Sache zu kommen, ein bewegendes, außerordentlich kraftvolles Konzert, das in dieser Form wohl auf beiden Seiten nicht viel länger hätte durchgehalten werden können. Alle wussten ja schon vorher oder konnten sich zumindest denken, mit welcher Energie Springsteen an die Sache herangehen würde – dass es so knüppeldick und laut kommen würde, war dann doch nicht zu erwarten. Zeitweise standen vier Gitarristen auf der Bühne, unter ihnen ein winzig kleiner Nils Lofgren und der uralte Gefährte Steve Van Zandt, der so etwas wie den Führungsoffizier bei dem Stimmungsanheizen gab, das Springsteen mit großen, aber auch netten Gesten selbst besorgte; Clarence Clemons blies seine Soli ins Saxophon; und über allem thronte Max Weinberg, der mit geradezu barbarischer Präzision und Wucht auf sein bemerkenswert kleines Schlagzeug eindrosch.
Was soll man noch sagen? Die Titel der Songs sind ja bekannt. Diesmal waren darunter erfreulicherweise auch drei von der Platte „Darkness On The Edge Of Town“, mit der Springsteen 1978 recht eigentlich erst der amerikanische Jedermann wurde, den man bis heute in ihm sieht. Die vertraute Magie stellte sich auf Anhieb ein: dieses Nur-ja-nicht-unterkriegen-lassen-Pathos, der fiebrige Lebenshunger und, natürlich, die Desillusion gelebten Lebens und abgelebter Liebe. Hierin, in der schwer auf den Begriff zu bringenden Mischung aus Übermut und Melancholie, ist Springsteen einfach ein Meister. Die Sicherheit, mit der er seinen Instinkten traut, hat ihn in fünfunddreißig Jahren nicht verlassen und wird es wohl auch nicht mehr.
Jon Landau hat den Namen, den die Zukunft des Rock ’n’ Roll hatte, damals schon ganz richtig gelesen. Es wäre albern, heute noch von einer Zukunft zu sprechen; es gibt keine mehr. Es gibt nur eine Vergangenheit, und ihr Name ist Bruce Springsteen. Etwas Schmeichelhafteres kann über einen Musiker nicht gesagt werden, wenn einem Vergan-
genheit etwas bedeutet und enttäuschte Hoffnungen eben doch nicht alles sind. Von Springsteen wissen wir, was beides bedeutet. Vielleicht trieb einem deswegen das Feuer, mit er seinen vielleicht besten Song, „Dancing in the Dark“, immer noch anzufachen weiß, Tränen in die Augen. EDO REENTS
Text: F.A.Z.