Der Mann, der den Rock ’n’ Roll erfand
Zum Tod des amerikanischen Rockmusikers und Komponisten Ike Turner
In dem Film „What’s Love Got to do With It“ gibt es eine Szene, in der Ike Turner seiner Frau Tina Musik vorspielt, die er gerade komponiert hat. Auf die Frage nach ihrer Meinung antwortet sie: „Es klingt alles . . . irgendwie gleich.“ Und schon setzt es Schläge. Ist das die ganze Wahrheit über Ike Turner? Das Publikum, noch im Taumel über Tina Turners gewaltige, musikalisch indes durchschnittliche Soloerfolge, mochte es glauben; immerhin basierte der Film von 1993 mit Angela Bassett und Laurence Fishburne in den Hauptrollen auf Tina Turners Autobiographie „I, Tina“.
Ike Turner hat dem Bild, das man sich von ihm als Scheusal und Frauenschänder gemacht hat und das seine immensen Leistungen für die Rockmusik in den Hintergrund drängte, nur halbherzig entgegengesteuert. Seine Autobiographie, in der er dies und das zugibt, vermittelt einen Eindruck von den Härten, denen er selbst ausgesetzt war: Der Fünfjährige wird Zeuge, wie man seinen Vater, einen Baptistenprediger, wegen einer Frauengeschichte dermaßen zusammenschlägt, dass dieser jahrelang in einem Verschlag vor sich hinvegetiert – der Gestank der faulenden Wunden machte eine Hausgenossenschaft unmöglich, Ike brachte ihm die Mahlzeiten.
Dies und manches andere hat ihn wahrscheinlich zu einem rücksichtsloseren Mann gemacht, als für ein Zusammenleben gut war. Eines steht aber fest: Was die Musik betrifft, so war Ike Turner sich seiner Sache immer absolut sicher; und womöglich ist das der Grund dafür, dass seine Sachen in der Tat alle irgendwie gleich klingen – so gleich, wie sich der Rock ’n’ Roll, als dessen Erfinder er zu gelten hat, eben selber ist. Denn „Rocket 88“ kam 1951, drei Jahre vor Elvis und den anderen, denen er mit Herablassung begegnete, heraus – unter dem Namen: „Jackie Brenston and his Delta Cats“. Dahinter verbargen sich aber Ike Turner und die Kings Of Rhythm, Brenston sang nur. Ike Turner muss über ein unglaubliches Selbstvertrauen verfügt haben. Mit zwanzig, in einem Alter also, in dem heutige Rockmusiker höchstens als Milchbärte durchgehen, war er Talentscout und beaufsichtigte die Plattenaufnahmen von Bluesmusikern, die seine Väter hätten sein können. Aber erst als er 1956 die damals noch minderjährige Annie Mae Bullock entdeckte, trat auch er, zwangsläufig, ins Rampenlicht: „The Ike and Tina Turner Revue“ präsentierte – und darin liegt Ike Turners zweite, große Neuerungsleistung – den soullastigen, rauhkehligen Rock ’n’ Roll mit aller Entschlossenheit als das, was er zumindest in seiner amerikanischen Spielart ist: als Revue eben. Mit eiskalter Professionalität zog er, an der Gitarre und am Klavier, bei einem erotisch an der Grenze zur Anstößigkeit aufgeladenen Entertainment die Strippen, während Tina sich die Seele aus dem Leib schrie: „A Fool in Love“, „I Want to Take You Higher“, dazu Fremdkompositionen wie Phil Spectors „River Deep, Mountain High“ oder John Fogertys „Proud Mary“ (man höre die gerade erschienene Box „The Ike & Tina Turner Story“). Nach der Trennung 1976 ging es für Tina, mit Verzögerung, erst richtig los mit einer Weltkarriere, die Ike versagt blieb. Er verharrte mit gelegentlichen, die Essenz des Rock und Soul bewahrenden Soloplatten auf dem Niveau, das er mit genialem Spürsinn einst gefunden hatte. Am Mittwochmorgen ist Izear Luster „Ike“ Turner im Alter von sechsundsiebzig Jahren in seinem Haus nahe San Diego gestorben. Selbst wenn Tina ihm keine Träne nachweint – die Rockmusik hat einen ihrer Großen verloren. EDO REENTS
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.12.2007 Seite 35