Erich Loest ist mit Leipzig verbuden (Bild: AP Archiv)
Schriftsteller Loest über die Wende in der DDR und seinen Roman "Nikolaikirche"
Erich Loest im Gespräch mit Sigrid Wesener
Die Leipziger Nikolaikirche gilt als Symbol für den Unmut in der DDR. Nach Einschätzung des Schriftstellers Erich Loest hat sich das Stimmungsgefühl nach den ersten Demonstrationen im Herbst 1989 gewandelt. "Die Leute hatten dann keine Angst mehr", sagte Loest.
Anmoderation: Die Leipziger Nikolaikirche wurde ja zum Symbol für den Unmut in der DDR, den man hier zuerst artikuliert. Hier fanden über Jahre die Friedensgebete statt, und von hier aus machten sich die Montagsdemonstrationen auf den Weg, die schließlich mit der berühmten Leipziger Demonstration vom Oktober 1989 den Anstoß gaben für die sich dann überschlagenden Ereignisse. "Keine Gewalt" und "Wir sind das Volk" - ursprünglich kamen diese Rufe aus Leipzig.
Mit dieser Stadt ist Erich Loest sein ganzes Leben lang verbunden, auch wenn er 1989 schon zehn Jahre im Westen lebte - nach einem Gefängnisaufenthalt in Bautzen und vielen Repressalien in der DDR war Loest ausgereist. Inzwischen lebt er wieder in Leipzig. In den historischen Herbsttagen im Herbst 1989 war auch für ihn plötzlich Unmögliches ganz einfach, wie Sigrid Wesener in einem Gespräch mit Erich Loest erfuhr.
Erich Loest: Ich lebte in Bonn, und zu meinen Füßen, am Rhein unten war die ständige Vertretung der DDR in der Bundesrepublik, und dort hatte ich jedes Jahr einmal einen Antrag gestellt, meine Verwandten in Leipzig und Mittweida besuchen zu dürfen. Meist hatte ich überhaupt keine Antwort bekommen.
Und dann ging ich dort hinunter und klingelte und sagte: Ich heiße Loest. Ach ja, Herr Loest, kommen Sie bitte rein. Wir haben zwar gerade Ruhetag heute, aber … Ja, ja, ich sage, ich brauche ein Visum, ich will nach Leipzig. Ja, bitteschön, und klar, da waren diese Herren Genossen aber von einem Tag auf den anderen ganz andere, und der Feind Erich Loest war jetzt ein angenehmer Mensch, dem man auch am Ruhetag natürlich ein Visum ausstellte.
Wesener: Die Situation hat sich dann ja über das Jahr sehr zugespitzt, dann gab es die Montagsdemos. Sie sind im Dezember 1989 zurückgekehrt nach Leipzig. Wie haben Sie diese Stadt vorgefunden?
Loest: Ich habe noch eine Demo miterlebt, das war vor Weihnachten und Magirius verkündete dann: Jetzt ist die letzte Demo vor Weihnachten, gehet hin in Frieden. Ich habe dann im Schriftstellerverband mit meinen alten Kollegen gesprochen, ich war sogar in dem Knast der Stasi, in dem ich mal gesessen habe, da hat mich da ein Fotograf hineingelockt und Reporter, die da auf Sensation aus waren. Die ersten Tage und Wochen war ich schon nach meinen Möglichkeiten eng dabei.
Wesener: Sie beschreiben das in dem Roman "Nikolaikirche" noch mal ganz genau, dieses Stimmungsgefühl: auf der einen Seite hoch aufgeladen und auf der anderen Seite war auch eine Leichtigkeit und so eine phantasievolle Antibewegung. Da war also auch viel Witz, da war viel Komik drin, dass die Situation eigentlich durch das Auftreten der Marschierenden entschärft werden konnte.
Loest: Die Leute hatten dann keine Angst mehr. Bei den ersten Demonstrationen im September, da waren viele stumm, und dann hatten sie Angst, dass geschossen wurde und Gorbi, Gorbi haben sie gerufen. Später sangen sie dann frech "Stasi in den Tagebau". Nachdem der äußere Druck der Gefahr weg war, machten sich dann auch der Humor und der Volkswitz Platz. Das Mäuschen tanzte.
Wesener: Sie haben auch darüber nachgedacht und geschrieben, dass sich dann ganz schnell 1989 der Schwerpunkt von Leipzig wieder zurück nach Berlin verlagerte. Hat Sie das enttäuscht?
Loest: Es ist dann doch der große Versuch gemacht worden am 4. November, die DDR immer noch zu erhalten, zu reformieren - mit dieser von der Partei organisierten großen Demonstration, wo Dampf abgelassen wurde und wo alle möglichen kühnen Versionen durchexerziert wurden, was man nun macht in diesem Land.
Und es war kein Wort davon, die Mauer müsse weg, es war kein Wort davon, die SED müsse zurücktreten. Es war immer noch ein Versuch, die DDR zu reformieren, aber durch diese Reformation zu erhalten. Und dann zog ein paar Tage später ein Funktionär zur falschen Zeit den falschen Zettel aus der Tasche und die Mauer war weg, sie war offen und das Volk flutete hindurch und die Trabis fuhren bis an den Rhein, und das war dann das Ende der DDR. Ein komisches Ende.
Wesener: Sie haben, Erich Loest, mal gesagt, dass Sie immer über die Stadt, über Leipzig, schreiben werden. Sie sind Ende der 90er zurückgekehrt, Sie leben jetzt wieder in Leipzig. Was vor allem haben Sie am Wandel innerhalb der Stadt am meisten empfunden?
Loest: Das war 90, ein neuer Aufbau mit neuen Leuten, die aus dem Westen kamen, mit einem klugen Oberbürgermeister, Lehmann-Grube, dem die Stadt Unendliches verdankt in dieser Zeit. Es kamen Glücksritter, es kamen notwendige Leute und überflüssige Leute, und im Nachhinein unterhalten sich nun viele, was man anders hätte machen müssen, mit der Treuhand und mit dem Geldumtausch und der irrsinnigen Aufwertung der DDR-Mark, die die Wirtschaft sofort zu Boden schmetterte. Und Helmut Schmidt und andere schreiben darüber kluge Bücher und zu diesem Herbst erscheinen wieder kluge Bücher, und unterdessen ist das Leben in dieser Stadt weitergegangen, für manche im Glück, für andere, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, im Unglück. Ich habe mal gesagt: Man kann einen 50-jährigen Metaller nicht zu zwei 25-jährigen Bänkern umschulen.
Wesener: Die Universitätskirche - auch sie ist in Ihren literarischen Texten immer wieder Gegenstand des Erinnerns. Inzwischen gibt es Konturen der neuen Paulinerkirche, und es gibt ja auch Dokumente, die die Zerstörungswut 1969 festhalten. Sie selbst haben in Ihrem neuen Roman "Löwenstadt" auch darauf Bezug genommen. Wie empfinden Sie jetzt diesen Wiederaufbau an dieser Stelle in dieser Form?
Loest: Das hat ja furchtbar viel Ärger gegeben in den letzten Jahren, dort stand ja ein 33 Tonnen schweres Karl-Marx-Relief. Wohin damit? Das ging in der Meinung von Einschmelzen - was nicht meine Meinung war - bis zum Aufstellen dort, wo die Trümmer der Kirche liegen, auf den ehemaligen Sandgruben in (…), und nun ist es wieder aufgestellt worden, immer noch auf Universitätsgelände, und das hat vielen missfallen und mir auch. So ist es mit einem Bild, was Werner Tübke gemalt hat, auf dem die Zerstörer und Verderber der Universität mit Paul Fröhlich zu sehen sind, was die Universität erhalten will und weiterhin aufstellen will, und die …
Wesener: Und Erich Loest wäre nicht Erich Loest, wenn er nicht einen Gegenentwurf hätte machen lassen, der demnächst gezeigt werden wird in dem Erich-Loest-Museum.
Loest: Ja, es ist von mir dann ein Maler gefunden worden nach langem Suchen, Reinhard Minkewitz, der ein Gegenbild gemalt hat: die Opfer der Karl-Marx-Universität, die vertrieben worden sind, die umgebracht worden sind, Hans Bloch und Hans Maier, der Student Ihmels, Natonek, der Pfarrer Schmutzler, und ich dachte, an diesem Bild kann dann an der Universität in Leipzig niemand vorbeigehen. Es hat aber in Leipzig niemand haben wollen.
Wesener: Und dieses Gemälde ist dann in Mittweida im Geburtshaus von Erich Loest aus Teil der ständigen Ausstellung zu sehen?
Loest: Das planen die Mittweidaer. Dort kommt das Bild hin, und wir schauen uns mal an, wie es wirkt.