Er hat gerade das neue Buch des in Oxford lehrenden Historikers John Darwin zu Ende gelesen – und er ist durchaus angetan. Das Buch heißt "After Tamerlane. The Global History of Empire". Es verschaffe, sagt er, einen wirklichen Überblick: "Man erfährt, wie sich die Weltmacht-Strukturen seit dem fünfzehnten Jahrhundert entwickelt haben und wie sie miteinander verflochten sind. Wenn man sich normalerweise mit Geschichte beschäftigt, sieht man das Ganze doch immer nur aus einem sehr engen Blickwinkel. Darwins Buch setzt all die verschiedenen Weltmächte in Bezug zueinander – bis zum heutigen Tag. Das ist sehr interessant." Historiographische Erwägungen sind nicht eben das, was wir von ihm erwarten. Im Gespräch mit der Journalistin Christiane Rebmann, das am kommenden Montag im Deutschlandfunk zu hören sein wird, aber erweist sich Mick Jagger als Geschichtsenthusiast reinsten Wassers. Er befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Schon Christopher Marlowe hat Timur, dem zentralasiatischen Herrscher des vierzehnten Jahrhunderts, ein Schauspiel gewidmet ("Tamburlaine der Große", 1590), Edgar Allen Poe hat ein Gedicht über ihn geschrieben ("Tamerlane", 1827). Jagger, einmal in Fahrt, weiß indes auch Begeisterndes über die Zeiten vor und nach Timur zu berichten. Sein neun Jahre alter Sohn lese gerade eine Weltgeschichte mit vielen Illustrationen: "Er fliegt förmlich durch die Geschichte" – und er stecke ihn, den Vater, mit seiner Leidenschaft an. Als seine historischen Lieblingsfiguren nennt Mick Jagger den russischen Feldherrn Potemkin und den französischen Chefdiplomaten Talleyrand. An beiden fasziniert ihn etwas sehr Ähnliches: Wie sie ihre Lust an gesellschaftlichen Ereignissen, an Bällen und Salongeplauder, mit "harter Arbeit" und einer "Vielzahl von Mätressen" zu verbinden wussten – Talleyrand, sagt er voller Respekt, "hat täglich eineinhalb Stunden auf seine Morgentoilette verwandt". Das Gespräch hat Christiane Rebmann jüngst in einer Suite des Londoner Soho-Hotels geführt. Und natürlich dreht es sich keineswegs nur um den Hobbyhistoriker Jagger. Unlängst hat er "The Very Best of Mick Jagger" veröffentlicht, seine Auswahl aus den vier Solo-Alben seit 1985. Also erzählt er viel Anekdotisches, etwa über die Zusammenarbeit mit John Lennon bei "Too Many Cooks" zu Anfang der siebziger Jahre. Selbstverständlich werden auch einige Songs eingespielt: Kracher wie "God Gave Me Everything", "Dancing in the Street" oder "Memo For Turner". Dies alles ist sehr unterhaltsam, vieles aber auch seit langem bekannt – ganz im Gegensatz zu seiner Geschichtsliebe. Jochen Hieber
"Rock et cetera: Mick Jaggers Arbeit als Solist" ist am Montag um 22.05 Uhr im Deutschlandfunk zu hören.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.12.2007 Seite 41