Sonntag, 7. Oktober 2007

Livekonzerte - ökonomische Bedeutung

Lebenslänglich: Zum Auftakt der Berliner Popkomm zerstört eine Studie den Mythos von der Jugendlichkeit der Rockmusik

Wenn Popmusik, wie Hegel einst schrieb, das sinnliche Scheinen einer dummen Idee ist, dann überrascht es nicht, dass uns dabei oft ein X für ein U vorgemacht wird: Pop als Inbegriff und angemessen lauter Ausdruck von Jugendlichkeit. Wie sich heute zeigt, ist das ein großer Bluff. Als in Großbritannien in diesem Frühjahr die Greisenband „The Zimmers“ mit einem neunzigjährigen Sänger „My Generation“ von „The Who“ coverte, da konnte man das noch für eine Kuriosität halten – schließlich lösten zeitgleich die Teenager von „Tokio Hotel“ bei Schülern im benachbarten Ausland einen Boom der deutschen Sprache aus. Doch das bleiben Randerscheinungen: Die Popbranche ist heute insgesamt genauso betagt wie jede andere Kulturindustrie auch.
Anlässlich der Musikmesse Popkomm in Berlin wurde gerade eine Studie des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft vorgestellt, die unsere Vorstellungen von Pop als Jugendbewegung als Mythos entlarvt. Der ist für das Marketing freilich so nützlich wie die Assoziation von schnellen Autos mit schönen Frauen. Vordergründig wird bestätigt, was man längst wusste: dass Konzerte als Wirtschaftsfaktor den Tonträgern den Rang abgelaufen haben. Während die Plattenbranche durch illegale Downloads und Raubkopien einen langsamen Tod stirbt, steigt der Umsatz mit Livemusik seit Jahren kontinuierlich an. Mit Musikevents wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2007 knapp 1,5 Milliarden Euro umgesetzt, mit Tonträgern (einschließlich legaler Downloads) gerade einmal die Hälfte davon. Zum Vergleich: Die gesamten Kinoumsätze summieren sich auf 360 Millionen Euro, also etwa ein Viertel.
Das ist kaum überraschend. Musik ist überall umsonst zu haben; für das in seiner auratischen Qualität technisch nicht reproduzierbare Liveerlebnis inklusive Leber- und Hörschäden greift man umso tiefer in die Tasche. Die Reunion- und Comeback-Welle dieses Popjahres, die in den meisten Fällen, etwa bei „The Police“, ohne einen einzigen neuen Song auskommt, folgt merkantilem Kalkül. Dagegen ist nichts zu sagen; wenn man damit nicht irgendwie noch Geld verdienen könnte, wäre Pop bald ein abgeschlossenes Sammelgebiet.
Der Teufel der Studie steckt im Detail, etwa in der Verteilung der Musiksparten in den jeweiligen Altersgruppen: Für Konzerte deutsch- und fremdsprachiger Popmusiker geben die Dreißig- bis Fünfzigjährigen das meiste Geld aus – noch mehr hat man nur für Musicals übrig. Und selbst bei denen zwischen fünfzig und sechzig liegen Popkonzerte mit Opernbesuchen und Klassik-Konzerten immer noch gleichauf. Noch deutlicher sind die Resultate bei der Altersstruktur einzelner Musikrichtungen: So liegt das Durchschnittsalter selbst für vermeintlich ganz junge Stile wie Hip-Hop, Alternative Rock oder House bei Ende zwanzig; immerhin noch ein Viertel aller Besucher von Hardrock-Konzerten ist älter als vierzig. Es gehen insgesamt ebenso viele Menschen über vierzig auf Rockkonzerte wie solche unter dreißig, sogar jeder fünfte Besucher eines deutschsprachigen Popkonzerts ist über fünfzig. Für Pop ist es also nie zu spät: Er ist kein Jugendstil, sondern eine nicht eben gesunde Lebensbeschäftigung, die beim raschen und vorzeitigen Altern behilflich sein kann.

Richard Kämmerlings

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.09.2007 Seite 44

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