Schmetterlinge im Suchscheinwerfer
Ein Mod im Manne: Der Britpop-Urahn Paul Weller mit einem Akustik-Programm in Köln
Im Foyer des Kölner Theaters am Tanzbrunnen tummeln sich drei Generationen Britpop und trinken Bier. Mancher hier hat den weiten Weg vom Mod zum Mann gemacht, weitaus mehr sind vermutlich erst als Mann zum Mod geworden. Einige tragen interessante Varianten des Wellerschen Fransenteppichs auf dem Kopf spazieren, und wer keine Haare mehr hat, hüllt sich zumindest in Fred Perry. Dazwischen stehen nachgerückte Jungfans, nicht weniger ergeben.
Man muss sich das wirklich noch einmal klarmachen: Der Mann, der heute hier spielt, hat mindestens 9,7 Prozent der britischen Popkultur erfunden, er ist aber auch der Pate jenes Wildlederschuh-Rockpops, den „Oasis“ in den späten Neunzigern so begnadet bräsig gegen die Wand gefahren haben. Es hat Weller nicht geschadet: Auch die wibbeligen „Arctic Monkeys“ beziehen sich auf ihn; man kann den silberhaarigen Vieltrinker, fünffachen Familienvater, herzlichen Schnöselpöbel und – ja, doch – „Modfather“ einfach nicht wegblenden, wenn man im englischen Pop-Omnibus mitfahren möchte.
Anfangs ein zorniger junger Beatle des Punk, ist Weller mit zunehmendem Alter immer mehr zu einem romantischen Proll im teuren Zwirn geworden. Er hängt viel mit Noel Gallagher rum und zieht nach zwölf Bier in einem Londoner Pub auch gerne schon mal über Bono her: Paul Weller, so viel steht fest, ist ein toller Typ. Und er hat einen Songkatalog angehäuft, der von ihm ähnlich jovial verwaltet wird, wie man es von Bob Dylan oder Neil Young kennt.
Weller-Konzerte sind Gottesdienste. Erst recht, wenn der Mann quasiakustisch auftritt und Nähe antäuscht. Entsprechend bietet sich im bestuhlten Tanzbrunnentheater ein lustiges Bild: Hunderte Britpopper in Abonnententheaterstühle gequetscht, unsicher umherguckend, ob sie auch die richtigen Plätze erwischt haben. Als Weller in schlichtem Schwarz um kurz nach neun mit seinem Adjutanten, dem Gitarristen Steve Cradock, die Bühne betritt, können sich etliche seiner Jünger schon nicht mehr auf den Sitzen halten. Beide Arme in die Luft gestreckt, stehen sie einfach nur da und starren Weller verklärt an. Der lässt sich nicht beeindrucken und singt sich erst einmal ein paar Songs lang warm.
Doch schnell wird klar: Diese Akustik-Versionen sind kein fader Aufguss. Im Gegenteil: Die vereinfachten Arrangements kitzeln neue Nuancen aus vielen Songs heraus, und Weller hat eine gute Auswahl getroffen. Neben einigen späten Solo-Songs (das brausende „All On a Misty Morning“, das geläutert swingende „I Wanna Make It Alright“) gibt es einige Kapriolen aus „The Jam“-Tagen: die alte B-Seite „The Butterfly Collector“ etwa, ein liedgewordenes Spinnennetz, das perfekt in die gegenwärtige Begeisterung für psychedelisierten Folk passt, und „Liza Radley“ – ein wunderschönes von Syd Barrett inspiriertes Lied über das Nichtdazugehörenwollen als Dazugehören.
Manches hier klingt, als ließe Douglas Sirk seine Filme am Sonntagnachmittag von einer Kindertheatergruppe wiederaufführen. Die Fans wissen es zu schätzen: Immer wieder werden überschwappende Bierbecher aus den Sitzreihen emporgereckt, immer wieder springen Menschen auf: Der gediegene Rahmen macht die Begeisterung noch anrührender.
Es wäre alles nur halb so famos, wenn die spaßige Denkmalsbejubelung nicht durch das Bühnentreiben gerechtfertigt würde. Aber was Weller und Cradock da oben bieten, ist sagenhaft präzise, oft wunderschön und teilweise atemberaubend. Cradock, seit Jahren Wellers Sidekick, ist für diesen Anlass der perfekte zweite Mann: Häufig als Britrock-Soldat geschmäht, tupft er den Songs hier wunderschöne Farbsprenkel auf und ersetzt auch schon einmal ein ganzes Streicherensemble. Bei der ersten Zugabe „Wild Wood“ sitzt dann niemand mehr, die Menschen drängen sich dicht vor der Bühne, und Weller kann sich jetzt aus der Nähe Nachbauten seiner Frisur anschauen. Nach anderthalb Stunden schlurft Weller mit Zigarette im Mund und wehenden Fransen – den getreuen Cradock untergehakt – von der Bühne. Die beiden haben soeben ein denkwürdiges Konzert gegeben. Backstage wartet das Bier.
Eric Pfeil
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.09.2007 Seite 40
Sonntag, 7. Oktober 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen