Sonntag, 26. Juli 2009

Blueswunderkind: Joe Bonamassa in Darmstadt

Die Weitsicht eines Zweiunddreißigjährigen: "Wenn es uns nicht gelingt, die Rocktradition für die junge Generation zu modernisieren, wird es bald keine Musik mehr geben." Joe Bonamassa, der vielen als größte Hoffnung im zeitgenössischen Blues gilt, hat ein entspanntes Verhältnis zur Geschichte: "Viele meiner Altersgenossen möchten nicht mehr mit verstaubtem Blues in Verbindung gebracht werden. Doch für mich ist er kein Todesurteil, sondern ein Ehrentitel. Ich bin stolz darauf, Blues-Musiker zu sein, will aber zugleich für das größtmögliche Publikum spielen."

Kein Wunder, dass ihn ein solch kommerzieller Anspruch bei Puristen in Verruf brachte. Dabei gelingt Bonamassa wie derzeit keinem zweiten Blues-Wunderkind – von Jonny Lang über Kenny Wayne Shepherd bis Derek Trucks – ein generationenübergreifender Brückenschlag vom britischen Bluesrock der Sechziger über Erinnerung an frühen Delta-Blues bis zu den Rock-Energien unserer Tage. Seine körnige Stimme schreit die Frage: "Who killed Joe Henry?" in das dichtbesetzte Auditorium der Darmstädter Centralstation. Dazu winden sich dickflüssige Soundschlieren aus komplex verschalteten Verstärkern. Schon der Eröffnungstitel von Bonamassas jüngstem und bisher besten Studioalbum – einer Hommage an Joe Henry, den großen amerikanischen Arbeiterhelden des späten neunzehnten Jahrhunderts – enthüllt Geheimnisse seiner Begabung: Der Amerikaner, der mit vier Jahren zum ersten Mal eine Gitarre in der Hand hielt, mit sechs "Voodoo Child" von Hendrix spielte, mit zwölf im Vorprogramm von B. B. King auftrat und zwei Jahre später John Lee Hooker begleitete, kämpft gegen alle Klischees. Er bemüht sich erfolgreich, jene Töne zu vermeiden, die man schon tausendmal gehört hat. Dabei hilft ihm nicht nur seine an Eric Clapton, Stevie Ray Vaughan und Danny Gatton geschulte Phrasierung, sondern vor allem sein schnelles Handgelenk-Vibrato im Stil Paul Kossoffs, des frühverstorbenen Free-Gitarristen, das jeder Note eine wimmernd-wehmütige Seele verleiht.

Joe Bonamassa, das demonstrieren vor allem seine schmerzlich langsamen Blues-Nummern, ist ein Klangfanatiker, dem der Ton eines Gitarristen das Wichtigste ist. In seiner Tiefendimension, in seinem Glanz und seiner Fülle spiegelt sich darin unmittelbar die Persönlichkeit eines Musikers. Immer wieder streut er deshalb klagende Einzeltöne in die Fließbewegung seiner Soli ein – markante Haltepunkte melodischer Assoziation. Seine rasante Schwelltechnik mit dem Lautstärkeregler à la Jeff Beck lässt die Gitarre bisweilen wie eine Querflöte klingen.

Bonamassa hat sein Flitzefinger-Image hinter sich gelassen und kostet die subtilen Möglichkeiten seiner 57er Gibson-Goldtop aus. Unterstützt von einem kompakten Trio mit Keyboard, Bass und Schlagzeug, stimmlich ergänzt durch den französischen Blues-Shouter Gary Rafferey und die Sängerin Sandy Thon, liefert Bonamassa heute ein Versprechen auf eine glänzende Zukunft. Vielleicht sollte man den Jungstar nicht zu früh zur Legende stilisieren. Bei aller Brillanz hat Gary Moore – einer der heimlichen Heroen Bonamassas – mit seiner Ernüchterung recht: "Alle nennen ihn schon eine Blues-Legende, dabei ist der Typ noch viel zu jung. Mit zweiunddreißig kann man den dunklen Dämon des Blues noch nicht bändigen." Peter Kemper