Sonntag, 13. Dezember 2009

Bologna-Reform

Willkommen an Bord der "Good Practice"!

Von Jürgen Kaube


 


 


 


 

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Widerstand gegen eine Reform ohne Plan

19. November 2009 Warum streiken, wogegen demonstrieren die Studenten denn? Wissen sie denn nicht: Der 1999 gestartete Bologna-Prozess hat zu einer erfolgreichen Modernisierung der deutschen Hochschulen beigetragen. Der Bologna-Prozess ist ein freiwilliger Prozess, der vor allem durch den Dialog der beteiligten Staaten und der eingebundenen Organisationen, der sogenannten Stakeholder, vorangetrieben wird. Der Austausch von Good Practice ist ein wesentliches Element der Zusammenarbeit. Die Umstellung greift, die Umsetzung des Bologna-Prozesses gewinnt an Fahrt.

Für die deutschen Hochschulen ist das ein Gewinn, denn der Bologna-Prozess ist ein wichtiger Beitrag zu ihrer Internationalisierung. Das Bachelor/Master-System eröffnet den Studierenden neue Möglichkeiten für eine Kombination attraktiver Qualifikationen sowie für eine flexiblere Verbindung von Lernen, beruflichen Tätigkeiten und privater Lebensplanung. Auch die Einführung der neuen Studiengänge kommt weiter gut voran. Die Kritik daran ist gestrig. Der Anspruch der Studenten, nicht nur auf Credit Points fixiert zu sein, muss ihre eigene Einstellung zum Studium prägen.

Nein, wir sind nicht übergeschnappt. Wir haben nur zitiert. Zitiert aus Reden und Verlautbarungen der Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), ihres Staatssekretärs und des Ministeriums. Alles aus diesem Jahr, auch das mit der Fahrt.

Taktik statt Interesse

Jetzt hingegen, da die Studenten protestieren und aus den Hochschulen keine Meldungen kommen, die einen Erfolg von Bologna erkennen lassen, ist Frau Schavan, wie sie sagt, "die erste Ministerin auf Bundesebene, die gesagt hat: Die Reform ist richtig, braucht aber in der Umsetzung Korrekturen", was auch nicht schwierig war, weil sie überhaupt erst die zweite Ministerin im Zeitraum des Bologna-Prozesses ist. Jetzt versteht sie "die Anliegen" der Studenten, ihre Unzufriedenheit, fordert Länder und die Hochschulen auf, ihre Belange ernst zu nehmen. Und die Unternehmen werden ermahnt, die "richtigen Signale" zu geben, dass man mit dem Bachelor "hervorragende Berufschancen" hat.

Woher weiß Frau Schavan eigentlich, dass man diese Chancen hat? Und dass es durch den Bachelor hervorgebrachte Chancen sind, also nicht solche, die es trotz Bachelor gibt, oder solche, die gar nichts mit der Studienreform zu tun haben? Woher weiß sie, dass die Reform richtig ist? Kennt sie Hochschulen? Weiß sie, wie sich dort die Professoren, denen man Exzellenzanreize hingehalten hat, aus der Lehre in der Bachelor-Phase zurückziehen? Hat sie davon gehört, dass Bologna das Studierverhalten demoralisiert, weil es vielerorts zu rein notentaktischen Einstellungen auffordert? Dass das Vergnügen am Studium sinkt, weil es nur noch als Hindernisparcours wahrgenommen wird, auf dem es nicht mehr möglich ist, aus schlechten Seminaren auszusteigen, uninteressante zu überspringen, bei einer Sache, für die man sich begeistert, auch zu bleiben?

Der falsche Plan

Ist ihr die Wirklichkeit der schwachsinnigen Abrechnung von Studienleistungen nach "workloads" – also den "Kontaktzeiten" der Studierenden mit ihren Lehrern und der Pflichtlektüre – schon einmal begegnet? Weiß sie, dass man in Oxford oder Zürich nach wie vor lachen würde, wenn jemand unter Berufung auf ein deutsches Bachelor-Zertifikat den Zugang zum weiterführenden Studium erzwingen wollte? Hat sie davon gehört, dass es schon innerhalb Deutschlands ihre vielbeschworene "erhöhte Mobilität durch Bologna" nicht gibt? Und hat sie ihre Beamten schon einmal ausrechnen lassen, wie viel Zeit für Lehre und Forschung sie und ihresgleichen vernichten, indem sie das wissenschaftliche Personal in immer neue Drittmittelantragsverfahren, Exzellenzinitiativkommissionen, Selbst- und Fremdevaluationsprozesse, Ratings und Rankings, Studienordnungsdebatten und Akkreditierungen stürzen?

Das entscheidende Wort hier ist "ihresgleichen". Denn das Spiel, das jetzt beginnt, heißt "Wer hat's falsch umgesetzt?", und es ist ein verlogenes Spiel, weil nicht die Umsetzung falsch, sondern der Plan gedankenlos und ohne das geringste Gespür für naheliegende Folgen war. Dieses Spiel soll Unterschiede zwischen den Funktionären suggerieren.

So, als dächten nicht Minister und Bundespolitiker aller Parteien und Landespolitiker aller Parteien und die meisten Rektoren, auf jeden Fall aber die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat und das "Centrum für Hochschulentwicklung" und die Bologna-Beauftragten vor Ort und die Akkreditierungsagenturen alle genau dasselbe. Als hätten sie nicht alle dieselben Reformgesänge angestimmt. Als redeten sie nicht alle vom unumkehrbaren Schicksal, wenn sie "Bologna" meinen. Als hätten sie nicht alle kaum Anschauung von dem, was an Universitäten dort, wo diese ihr "Kerngeschäft", die Lehre nämlich, betreiben, vor sich geht. Als interessierte sich irgendjemand aus dem Reformestablishment dafür, was aus den Studenten werden soll. Und weil die das jetzt ahnen, genau darum protestieren die Studenten.

Text: F.A.Z.

Jetzt räumen sie Fehler ein Die Bologna-Reformer sind um Ausreden nicht verlegen

Jahrelang war alles auf dem besten Weg. Die Einreden gegen die Bologna-Reform an den deutschen Universitäten wurden als Dokumente ewiggestriger, nostalgischer oder einfach nur lobbyistischer Gesinnung von änderungsunwilligen Professoren abgetan. Jahrelang, das heißt: bis vor ein paar Monaten.

Jetzt aber wird eingeräumt. Die Kultusministerkonferenz hat neulich eingeräumt, es gebe Korrekturbedarf. Die Studiengänge müssten "studierbar" gemacht werden. Jetzt räumt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, "handwerkliche Fehler" bei der Einführung der Bachelor-Studiengänge ein. Auch der Präsident der KMK, Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsminister Henry Tesch (CDU), räumt ein, die Proteste von Studenten seien richtig, sofern sie auf konkrete Verbesserungen der "unmittelbaren Studienbedingungen" zielen. Und als ob es auf einer Verabredung beruhte, schließen sich dem auch die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und die Bundesbildungsministerin beim Einräumen an. Noch wird gern hinzugefügt, in Bausch und Bogen dürfe man die Bologna-Reform nicht ablehnen, aber wer weiß, ein, zwei Amtswechsel, und es ist vielleicht auch damit zu rechnen.

Handwerkliche Fehler, konkrete Verbesserungen, nicht in Bausch und Bogen – das Kleingedruckte zeigt die Rechthaberei im Großen und Ganzen. Es heißt: Die Baupläne stimmen, nur der Handwerker hat gepfuscht. Konkrete Verbesserungen, weil allgemein ja nichts gegen Bologna zu sagen ist und, das will man mitteilen, ja auch nicht die fürs Allgemeine zuständige Politik, sondern die fürs Konkrete zuständigen Hochschulen versagt haben. Die Absichten waren doch bestens.

Man will es sich selbst, vor allem aber allen anderen – denn womöglich wäre es ja ein Rücktrittsgrund –, nicht eingestehen, dass fast nichts, was die Bologna-Reformen in Aussicht gestellt haben, eingetreten ist. Mehr Mobilität, kürzere Studiengänge, mehr Abschlüsse, mehr Praxisnähe. Wie alle Wertelisten enthält auch diese nur Einträge, die man nicht ablehnen kann. Nehmen wir darum noch "mehr Exzellenz in der Forschung", "Umstellung auf Programm- statt Einzelförderung", "Leistungsentlohnung des Personals" und "Steigerung der Studierquote" hinzu. Kann man das alles in Bausch und Bogen ablehnen? Ja, man kann, wenn man sieht, wie sich diese Ziele gegenseitig im Wege stehen, wie verblasen manche von ihnen sind, wie andere als Begründung für Reformen an Fächer herangetragen wurden, bei denen gar nichts im Argen lag, und wie wieder andere reine Phrasen sind, für die es gar keine Anschauung gibt: Leistungsentlohnung zum Beispiel.

Für eine nüchterne Lageanalyse wäre also das Eingeständnis vorauszusetzen, dass die Reform nicht handwerklich und aufgrund von Unzulänglichkeiten oder Übereifer vor Ort scheitert, sondern an ihrer Undurchdachtheit und ihren windigen Zielen, für die der Begriff "Ökonomisierung der Hochschule" noch viel zu optimistisch ist, weil er eine klare Absicht unterstellt.

Was kann man also jetzt, da die Einsicht da ist, dass es so nicht gut werden wird, tun? Was nottäte, wäre der Rückgewinn einer Anschauung von dem, womit es die Universitäten derzeit zu tun haben. Da ist zum Beispiel ihre maßlose Bürokratisierung. Studienordnungen etwa werden erst hart erkämpft und dann durch teure Akkreditierungsprozesse geschleust, obwohl sie bislang nur auf dem Papier stehen, also noch niemand sagen kann, wie "studierbar" sie eigentlich sind. Wieso schafft man das – kein handwerklicher, sondern ein gedanklicher Fehler – nicht einfach ab? Denn hier, beim Akkreditieren, wurden schließlich all jene unsinnigen Erwartungen durchgesetzt, von denen es jetzt heißt, niemand habe sie gewollt, und von denen jedenfalls feststeht, dass sie, die Studienordnungen, niemand versteht.

Das Vollstopfen der Stundenpläne mit modual abrechnungspflichtigen Kursen wäre ein anderer Punkt. Auch dies kein Malheur, das ungewollt passierte. Sollte doch dasselbe – ein vernünftiger Abschluss, der das Papier wert ist, auf dem er steht – in kürzerer Zeit erreicht werden. Siehe G8. Jetzt gibt man bei den Semesterzahlen nach, kann sich statt sechs auch sieben oder acht und bestimmt auch bald wieder zehn vorstellen. Aber dass man durch das Modulsystem vor allem die Präsenzpflicht der Studierenden ganz unsinnig erhöht hat und dadurch die ohnehin bedrohte Kulturtechnik des Lesens, des freien Lesens gar, abschafft, ist den Managern nicht aufgefallen. Vielleicht weil sie die Literatur auf den Gebieten, auf denen sie einst als Forscher tätig waren, oft auch nur noch "zur Kenntnis nehmen" und nicht mehr studieren.

Das sind nur zwei Gesichtspunkte von Dutzenden, die nichts mit adminstrativem Handwerk, dafür alles mit dem Nachdenken über Aufgaben und Möglichkeiten einer Universität zu tun haben. Die Bologna-Reform beruhte auf einer richtigen Fragestellung: Was machen wir mit Studenten, die nicht Wissenschaftler werden wollen? Und sie beruhte auf einer komplett falschen Antwort: Wir sorgen dafür, dass sie möglichst schnell einen Abschluss bekommen. Wer sich diesen grundsätzlichen Irrtum nicht eingesteht, von dem ist nicht zu erwarten, dass er mit Einräumen etwas anderes meint als Beschwichtigen.             Jürgen Kaube

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.11.2009 Seite N5