Sonntag, 13. Dezember 2009

Tod eines Torwarts

Die ARD macht aus dem Fall Enke einen Spielbericht

Ein Satz, der harmlos daherkommt und doch geradezu brutal ist: "Sportlich erfolgreich, doch im Privaten erlebt er einen herben Rückschlag – seine leibliche Tochter stirbt vor drei Jahren an einem schweren Herzfehler." Gesendet wurde diese öffentlich-rechtliche Rohheit am späten Dienstagabend im Nachtmagazin der ARD zum Tod des Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke, der sich wenige Stunden zuvor das Leben genommen hatte.

Ist es denn so, dass dieser Mann, der als sensibel und sozial galt, doch bloß ein Karrierist war, dem auf seinem Weg nach oben der Tod der eigenen Tochter in die Quere kommt, als Störfall gewissermaßen? Einen "herben Rückschlag" mag man das Ausscheiden aus der Champions League nennen, aber nicht das der Tochter aus dem Leben. Und es ist in diesem Zusammenhang auch nicht nötig, deren Leiblichkeit hervorzuheben, als wäre es weniger schlimm gewesen, wenn es sich um ein adoptiertes Kind gehandelt hätte.

Es ist weiß Gott schwer, in Todesfällen die richtigen Worte zu finden. Gelungen ist dies vor Jahren bei Johnny Cash. Marietta Slomka sagte nämlich eigentlich nichts, erwähnte dessen Tod nur, ließ dann ein wahrhaft bewegendes Video des Musikers laufen, kam wieder ins Bild, schluckte und ging dann ernst und wortlos über zum nächsten Thema. Jeder Zuschauer konnte sich seine eigenen Gedanken machen und war doch nicht allein damit, denn er sah: An der Moderatorin geht das auch nicht spurlos vorüber, und dieser Eindruck genügt ja vielleicht auch schon.

Was soll man über einen Selbstmörder auch öffentlich sagen, das über die üblichen Versatzstücke, die Sprach- und Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen, hinaus- und doch nicht zu weit geht? Es wäre verfehlt, hier überkritische Haltungsnoten zu vergeben. Aber die Rede vom "herben Rückschlag" ist eine Entgleisung, die tiefer blicken lässt und womöglich mit dem geradezu grotesken Überhandnehmen der Fußball-Berichterstattung in den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern zusammenhängt. ARD und ZDF lassen sich die Übertragungsrechte einiges kosten, darum zeigen sie auch viel. Aber sie zeigen inzwischen zu viel.

Die massive Präsenz des Fußballs schafft sich ihren eigenen Kommunikationsstil, der zur Emotionalisierung neigt und auf andere Bereiche abfärbt. Da wird es dann auch in der Politik und der Wirtschaft üblich, von Auf- und Absteigern, von Duellen und Niederlagen zu sprechen. Im Fußball hat das dazu geführt, dass sich die Fernsehberichterstattung über weite Strecken damit begnügt, den immer einstudierter wirkenden Torjubel der Spieler zu zeigen und diese anschließend auch noch zu interviewen, um zu erfahren, was man doch schon gesehen hat: wie sich der Torschütze oder Torwart gefühlt habe.

So erscheint es nun fast als konsequent, wenn die Berichterstattung über einen so existentiellen Fall in den Jargon des Sportjournalismus zurückfällt. Man tut dann so, als ließe sich eine Lebensgeschichte beschreiben wie ein Spiel oder eine Saison. Der Tod eines Kindes ist dann eben ein herber Rückschlag im Auf und Ab eines Lebens, das der Logik des Tabellenstands gehorcht und an dessen Ende die Meisterschaft oder der Abstieg steht.

Es fällt anlässlich dieses Todesfalles noch etwas anderes ins Auge, das allgemein journalistischer Natur ist: Die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen haben inzwischen Schwierigkeiten, angemessen auf solche Ereignisse zu reagieren, weil sie ohnehin schon so vieles dramatisieren, personalisieren und boulevardisieren. Das ist auch eine Frage des Sendeformats. Wir nehmen es hin, dass die "Tagesthemen", das "Heute-Journal" und das "Morgenmagazin" keine Nachrichtensendungen sind, sondern "Nachrichtenjournale", bei denen es immer wichtiger wird, wie die Moderatoren sich in Szene setzen. Nicht nur dass sie sich vertraulich das Wort erteilen – auch der Vor- und der Abspann der Sendungen, die die Zuschauer eigentlich gar nicht zu interessieren haben, zeigen sie durchweg schäkernd und bestens gelaunt, als gäbe es nur Erfreuliches zu berichten. Wie soll man inmitten dieses Terrors von Intimität noch den richtigen Ton für etwas treffen, von dem sich ein ganzes Land bestürzt zeigt?

In diesen Rahmen passt eine Todesnachricht denkbar schlecht. Das "Morgenmagazin" weckte am Mittwoch Befremden. Der Zuschauer konnte erwarten, dass der erste Beitrag dem Tod des Torwarts gelten würde. Aber dass die Moderatoren während der Überleitung zu den Nachrichten mit ihrer Trauer einen Platz füllten, der normalerweise für ihr neckisches Geplänkel vorgesehen ist, wirkte abstoßend. Man musste ja daran denken, dass sie eigentlich viel lieber miteinander schäkern.

Es mag gerade in solchen Fällen eine Katharsis durch die Medien nötig sein. Moderatoren nehmen es dem Zuschauer ab, einer Trauer Ausdruck zu verleihen, und man orientiert sich dabei an einem seriösen Rahmen. Selten machte sich die Preisgabe einer Neutralität, die doch gerade in solchen Fällen Halt gibt, weil sie jedermann noch Raum für eigene Empfindungen lässt, so krass bemerkbar wie jetzt. Man hatte sich die Übertragungsrechte gesichert, aber der Tod Robert Enkes stand nicht auf dem Spielplan.      EDO REENTS

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.11.2009 Seite 29