Raffinierte neue Lichtquellen und virtuelle Bilder aus Bewegungsprognosen sollen den LCD-Bildschirmen ihre letzten Schwächen austreiben. Die Resultate sind auf den neuen Flachmännern oft deutlich sichtbar – sogar im Elektronik-Supermarkt. Von Wolfgang Tunze
Frank Bolten, Geschäftsführer von Sharp in Deutschland, gestaltete seine Pressekonferenz auf der Internationalen Funkausstellung IFA anno 2009 im Stil eines technischen Proseminars. Der geneigte Teilnehmer erlernte dort Begriffe wie Edge-Lit, Full LED Backlight, RGB-Hinterleuchtung und vieles mehr, und am Ende der Veranstaltung leuchtete selbst den Korrespondenten fachferner Publikationen der Sinn des ungewöhnlichen Vortrags ein: Wie soll man denn sonst erklären, weshalb es flache Fernseher für 1200 und solche für 12 000 Euro gibt – vom offenkundigen Differenzierungskriterium der Mattscheibengröße einmal abgesehen? An anderen Ständen sammelten die IFA-Besucher in Berlin gleich noch etliche weitere Technik-Formeln ein. Die Größe 200 Hertz etwa tat sich allenthalben als das populärste Gütesignal der Saison hervor.
Steckt hinter all diesen Begriffen mehr als nur Marketing-Geklingel? Und wenn ja: Was bedeuten sie im Detail – und wie viel Entscheidungshilfe bieten sie beim Kauf? Das Stichwort LED signalisiert einen Großtrend der Bildschirmtechnik: Statt spaghettidünner Leuchtstoffröhren – Fachleute nennen sie Kaltkathodenröhren – setzen die Hersteller in den höherwertigen Geräteklassen immer häufiger Leuchtdioden (LED) als Lichtquellen ein. Dass Bildschirme überhaupt solcher Strahler bedürfen, liegt an den Besonderheiten der LCD-Technik, die auf der Lichtventil-Funktion von Flüssigkristallen beruht: Flache Scheiben der Gattung LCD leuchten nicht selbst. Einem Dia ähnlich, brauchen sie zierliche Lampen, die sie von hinten durchleuchten und erst so brillante Bildeindrücke ermöglichen.
LED-Leuchtzellen helfen sogar, Umweltlasten zu verringern
Samsung hat seine Begeisterung für LED-Hinterleuchtungen gleich in einen neuen Terminus umgemünzt: LED-Fernseher nennt der Hersteller entsprechend ausgestattete Geräte seines Hauses fortan. Der als Signal für Innovationsfreude gedachte Begriff irritiert allerdings eher: Natürlich zählen auch diese Modelle zur Familie der LCD-Fernseher. Und ob König Kunde den LED-Lichtquellen am Ende wirklich fortschrittliche Aspekte abgewinnen kann, hängt ganz von der konkreten Art ihres Einsatzes ab. Ökowerbebotschaften sagen dem LED-Trend gern umweltfreundliche Nebenwirkungen nach. Tatsächlich enthalten Kaltkathodenröhren Quecksilber, das der Biosphäre erspart bleibt, wenn LEDs künftig die Mattscheibe erhellen. Aber da wir von sofort an, ebenfalls aus Ökogründen, immer mehr quecksilberhaltige Stromsparglühbirnen in unsere Lampen schrauben müssen, vermag uns dieses Argument nicht recht zu entzücken.
LEDs können aber helfen, Energie zu sparen und gleichzeitig die Bildqualität zu erhöhen, und zwar mit einem Local Dimming genannten Kunstgriff: Konventionelle Hinterleuchtungen strahlen stets mit voller Leistung; gibt das Motiv dunkle Passagen vor, müssen die LCD-Zellen dem Licht so gut wie möglich den Weg versperren. Das gelingt ihnen allerdings, eine Schwäche des Prinzips, stets nur annähernd. Folglich schaffen LCD-Schirme von Haus aus keine perfekten Schwarzwerte, der Kontrast bleibt begrenzt. Übernimmt ein Feld aus LED-Zellen die Leuchtaufgaben, kann die Elektronik überall dort die Lichtleistung herunterregeln, in denen der Bildinhalt Dunkelheit verlangt. Das vertieft den Kontrast deutlich und senkt die Stromrechnung spürbar.
Die Verwirklichung solcher Lösungen ist freilich kniffliger, als sich die grobe Funktionsbeschreibung anhört. Geräte mittlerer Preisklassen können das Hinterleuchtungsraster nicht annähernd so fein gestalten wie die LCD-Schirme Bildpunkte differenzieren. Typische vollflächige LED-Hinterleuchtungen setzen sich aus etwa 100 bis 200 Lichtsegmenten zusammen. Daraus erwächst das Risiko, dass sich die Grenzen der viereckigen Lichtzonen im Fernsehbild abzeichnen. Davor sollen Diffusorscheiben schützen, die zwischen LED-Hinterleuchtung und LCD-Panel sitzen. Sie verwischen die Grenzen der Segmente, und zusätzlich helfen elektronische Signalkorrekturen, das Bild an die nun eher wolkige Lichtverteilung anzupassen. Ob die Lichtzonen dennoch sichtbar werden, offenbart ein simpler Test im Elektronik-Supermarkt: Laufen die Fernseher der engeren Wahl mit voll aufgedrehtem Kontrast und großer Helligkeit, und liefert das Programm überdies noch kontrastreiche Szenen, trennt sich die Spreu vom Weizen.
Es gibt aber auch noch weit anspruchsvollere Arten, das Local-Dimming-Prinzip zu perfektionieren. So rüstet Sharp sein Flaggschiff-Modell LC-XS1E (Bildschirmdiagonale: stolze 165 Zentimeter) mit einer LED-Hinterleuchtung aus, die sich aus 1568 Lichtsegmenten zusammensetzt und damit einen Weltrekord markiert. Außerdem spendiert der Hersteller diesem Boliden statt der einfachen weißen LEDs Gruppen aus roten, grünen und blauen Exemplaren; Sony und Samsung gönnen ihren Spitzenmodellen ebenfalls das Mischlicht aus den drei Grundfarben, Fachkürzel: RGB. Der Vorteil: Diese Lichtquellen decken einen größeren Farbraum ab, können also sichtbar dazu beitragen, die Motive mit feineren, natürlicher wirkenden Farbnuancen auf die Bildfläche zu bringen. Allerdings ist diese Art von Fernsehspaß noch sündhaft teuer: Sharp will für sein Renommierstück rund 12 000 Euro; auch diese Größe liegt auf Rekordniveau.
LED-Hinterleuchtungen haben noch eine andere interessante Eigenschaft: Gruppieren sie sich nur am Rand des Bildschirms und verteilen ihr Licht mit Hilfe einer speziellen Folie, so helfen sie, Bautiefe zu sparen. Folglich gibt es immer mehr elegante Bildschirme, die kaum noch dicker sind als ein Zeigefinger. Der Nachteil dieser Edge-Lit genannten Seitenbestrahlung: Local Dimming funktioniert höchstens rudimentär, und die Helligkeit größerer Bildschirme nimmt zur Mitte hin ab. Für Geräte, die solche Risiken dank vollflächiger Hinterleuchtung umgehen, haben Marketing-Linguisten deshalb schon den Begriff Full LED Backlight erfunden.
Schnellere Einzelbild-Folgen sorgen für schärfere Konturen
Das andere große Technik-Thema der Fernsehsaison hat mit der scharfen Darstellung von Bewegungen zu tun. LCD-Fernseher neigen dazu, schnell bewegte Bilddetails zu verwischen – nicht etwa, weil sie zu träge wären, auf flinke Veränderungen des Bildinhalts zu reagieren. Diese ursprünglich LCD-typische Schwäche haben die Bildschirme heute weitgehend überwunden. Das Problem entsteht so: LCD-Fernseher lassen jedes Einzelbild so lange stehen, bis der Sender das nächste liefert. Unsere Wahrnehmung verarbeitet Ruhephase und abrupten Wechsel zu einem Glissando mit verwischten Konturen. Ein probates Mittel gegen diesen Effekt besteht darin, die Anzahl der Einzelbilder in jeder Sekunde zu erhöhen. Der Kunstgriff ist eigentlich alt: Schon Röhrengeräte verdoppelten die 50 vom Sender stammenden Bilder je Sekunde, also die Bildfrequenz von 50 Hertz, auf 100 Hertz. In der Analog-Ära ging es allerdings darum, das Flimmern heller Bildpartien in den Griff zu bekommen. 100-Hertz-Technik zählt heute auch zur Ausstattung der meisten größeren Flachbild-Fernseher, und ihr bildschärfender Einfluss ist nicht zu übersehen.
Schon im vorigen Jahr setzte Sony als erster Hersteller noch eins drauf, mit der Vervierfachung der Bildfrequenz auf 200 Hertz. Konkret: Zwischen jeweils zwei vom Sender gelieferte Einzelbilder fügt die Fernseher-Elektronik drei weitere, komplett neu errechnete ein. Wie gut diese Maßnahme wirkt, hängt ganz davon ab, wie präzise es der Elektronik gelingt, die Bewegungsrichtungen im Bild vorherzusagen und so den virtuellen Zwischenbildern bis in die kleinsten Details hinein möglichst fehlerfreie Konturen zu verpassen. Sony hat seine 200-Hertz-Elektronik übrigens, das sei als patriotische Fußnote gestattet, nicht im fernen Tokio, sondern in seinem Stuttgarter Forschungslabor entwickelt, und von da aus machte das Beispiel Schule: Zur IFA gab es schon mehr als 30 verschiedene 200-Hertz-Modelle aller großen Hersteller. Allerdings: Nicht überall, wo 200 Hertz draufsteht, sind auch wirklich 200 vollständige Bilder in jeder Sekunde drin. Toshiba und LG etwa wenden in einigen Modellen einen Kunstgriff an, der durchaus brauchbare Resultate zeitigt: Dunkelphasen zwischen den Einzelbildern, auf wechselnde horizontale Teilbereiche des Bildschirms verteilt, sparen Rechenleistung, sprich Kosten, und helfen unseren Sinnen ebenfalls, konturenscharfe Bewegtbilder zu sehen. Allerdings verringert diese Scanning Backlight genannte Lösung die Bildhelligkeit.
Insgesamt gilt: Der Unterschied zwischen der Original-Bildfolge von 50 Hertz und errechneten 100 Hertz ist deutlich sichtbar. Die Differenzen zwischen 100 und 200 Hertz dagegen fallen subtiler aus; gute 100-Hertz-Geräte können manchmal sogar klarere Bilder produzieren als weniger gute 200-Hertz-Versionen. Am besten lässt sich die Wirkung der wundersamen Bildvermehrung mit Test-DVDs (etwa von Burosch, www.burosch.de) ermitteln, die Laufschriften auf die Mattscheibe bringen. Gute Geräte zeigen den Text klar und ohne Doppelkonturen.
Und noch etwas lässt sich als Fazit festhalten: LCD-Fernseher mit noch höheren Bildfrequenzen sind kaum zu erwarten. Sie bringen keine subjektiven Verbesserungen mehr – und sie würden auch das Reaktionsvermögen der LCD-Schirme überfordern. Denn ein bisschen träge ist diese Gattung der Flachmänner immer noch, aber solange sie damit nicht die Trägheit unserer biologischen Bildverarbeitung überbietet, sei es ihr gestattet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.10.2009 Seite T1