Tina Turner Das schönste Gesicht des Rhythm & Blues Groß gemacht und beinahe zerstört von ihrem Ehemann Ike, wurde sie eine der am meisten geachteten Rocksängerinnen überhaupt
Am 14. Mai 1981, einen Tag nach dem Papst-Attentat, berichtete die "New York Times" über ein Konzert im "Ritz". Es war die Rückkehr einer Dschungel-Aphrodite, die man lange nicht mehr gesehen hatte und die nun, im Alter von einundvierzig Jahren, sich anschickte, "die Mae West der Rockmusik" zu werden.
Die Zahl der Rückkehrer in der Unterhaltungsindustrie ist groß. Das Comeback, das Tina Turner feierte – allerdings noch nicht im "Ritz", sondern eigentlich erst drei Jahre später –, ist vermutlich eines der allergrößten und nur noch mit dem von Elvis Presley in Memphis zu vergleichen. Angekündigt war eine so gut wie mittellose, künstlerisch ausgebrannte Sängerin, die sich des Mae-West-Vergleichs jedoch insofern als würdig erwies, als sie auf der Bühne dann geradezu die Parodie einer unzüchtigen Frau gab: derb und humorvoll, Prostituierte und Gospelinterpretin in einem, die einen Mann, wie einst Mae West, auch jederzeit hätte fragen können: "Hast du 'ne Knarre in der Hose, oder freust du dich so, mich zu sehen?" Die Show muss jedenfalls enorm gewesen sein, und es spielt aus heutiger Sicht keine Rolle, ob sie es auch deswegen war, weil Tina Turner bloß ihre Unsicherheit verbergen wollte. Die Stimme jedenfalls, eine der wenigen, auf die das Attribut "Reibeisen" wirklich passt, hatte sich ihre einzigartige Kraft bewahrt, und ihre Beine, die immer als die schönsten im Rockzirkus gepriesen wurden, werden ihren Eindruck auch nicht verfehlt haben.
Dass sie aber in diesem Alter um ihr Leben sang, während Mae West wenige Jahre vorher mit achtzig noch ein sängerisches Comeback gewagt hatte, zeigt, wie sehr sich die Zeit zwischen Hollywoods golden age und der Reagan-Ära, aber auch, wie sehr sich unsere Wahrnehmung in den vergangenen dreißig Jahren geändert hat: Niemand käme heute auf die Idee, eine Einundvierzigjährige für alternd oder alt zu halten. Tina Turner selbst auch nicht, sonst hätte sie das Singen wohl längst aufgegeben.
Vier Produzenten und acht Songschreiber waren trotzdem nötig, um sie 1984 wieder richtig auf die Beine zu bringen. Der Boden war bereitet von schmeichelhafter Propaganda des Rockadels in Gestalt Mick Jaggers und David Bowies, die sie zu ihrer Lieblingssängerin erklärten – Jagger hatte noch andere Gründe, denn von Tina Turner lernte er im Prinzip erst tanzen. Im Sommer 1984 schoss die bei der alten Sinatra-Firma Capitol verlegte Platte "Private Dancer" in die Hitparaden, hielt sich lange darin und bekam vier Grammys. Obwohl sie keine direkten Anspielungen enthielt, war sie die Bewältigung einer Vergangenheit, die bitter gewesen sein muss. Was falsche Liebe betrifft, wusste sie jedenfalls, denn ihr Mann Ike, von dem sie nach "sechzehnjähriger Leibeigenschaft" geschieden wurde, ohne auch nur einen Penny für sich und ihre vier Kinder zu sehen, saß ihr quasi noch im Nacken, tauchte 1993 sogar bei den Dreharbeiten für den beklemmenden, auf ihrer Autobiographie basierenden Film "What's Love Got to Do With It?" auf und sorgte dafür, dass die Hauptdarstellerin Angela Bassett Leibwächter bekam.
Ike Turner hat sie groß gemacht, nachdem er Ende der fünfziger Jahre mit einem Blumenstrauß vor dem Elternhaus der gerade volljährigen Anna Mae Bullock aufgetaucht war und deren Mutter den Gentleman mit besten Absichten vorgespielt hatte. Und das Mädchen ließ sich darauf ein, nannte sich fortan Tina und machte die "Ike and Tina Turner Revue" zur absolut heißesten, obszön-gewagtesten Unterhaltungsshow, die es in den sechziger Jahren in Amerika gab. Tina konnte sich dabei in ihren Freizügigkeiten desto besser entfalten, da Ike ein Diktator wie James Brown war und den Laden mit seiner profunden Musikalität und einer bemerkenswerten Hitpalette zusammenhielt. Stöhnend und kreischend kämpfte sich Tina durch das Arsenal von "A Fool in Love" (1960) über die gewaltige Phil-Spector-Produktion "River Deep, Mountain High" (1966) und "Proud Mary" (1970) bis hin zu "Notbush City Limits" (1973). Der große Atlantic-Mann Jerry Wexler kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: "Du musstest warten, bis du dreißig bist, um eine Sexbombe für die Blumenkinder werden zu können."
Ike Turner betrachtete sie trotzdem nicht als Allgemeingut, sondern als seine Erfindung, über die er nach Belieben verfügen zu können glaubte. Er schlug sie und hielt sie wie eine Gefangene. So hätte er Tina Turner beinahe zugrunde gerichtet. Aber sie hielt sich die achtziger und neunziger Jahre hindurch mit enorm erfolgreichen, verwegen betitelten Platten ("Break Every Rule", "Foreign Affairs", "Wildest Dreams"), mit strapaziösen und nur mit einer Physis wie ihrer zu absolvierenden Tourneen. So wurde sie sexiest grandmother ever und die wohl geachtetste Popsängerin überhaupt.
Wenn einen die Karriere der Tina Turner dennoch ein wenig melancholisch stimmt, dann deswegen, weil sie, nachdem ihr Ehegefängnis gesprengt war, Musik machte, die sehr genau auf den weißen Massenmarkt hin berechnet und insofern ein Verrat am Rhythm & Blues war. Das soll uns aber – um Buddhas willen (an den sie fest glaubt) – vom Gratulieren nicht abhalten. Am kommenden Donnerstag feiert Tina Turner ihren siebzigsten Geburtstag. EDO REENTS
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.11.2009 Seite 32