Die Berliner CDU hat ihrer Stadt ungewollt einen Dienst erwiesen, indem sie Christoph Lehmann zweimal nicht als Bundestagskandidaten aufstellte. So hatte der Rechtsanwalt und Vater von vier Kindern Zeit, am Küchentisch nicht nur über die Politik von SPD und PDS zu schimpfen, sondern aktiv zu werden. Die Mittel dazu, die Elemente plebiszitärer Politik, stammen aus dem linken Lager. Der letzten Verfassungsänderung 2006 aber stimmten Mitglieder aller Fraktionen zu: Volksinitiativen, -begehren und -entscheide richten sich nun einmal gegen die Regierung, und die besteht seit 2002 aus SPD und PDS.
Den Fehler der Tempelhof-Freunde machte der Jurist Lehmann nicht. In den gesetzlich vorgeschriebenen Etappen führte er die Bürgerinitiative "Pro Reli" in die klassische demokratische Situation, in der das Volk eine Frage entscheidet, die von ihm entschieden werden kann. In den vergangenen Jahrzehnten hatte es die Berliner Landespolitik nicht fertiggebracht, über das Thema Religionsunterricht auch nur ernsthaft zu diskutieren. Das ist Lehmanns Bürgerinitiative auf unerwartet kurzweilige und leidenschaftliche Weise gelungen. Die Regierung nutzte einen Mord dazu, das Fach Ethik zwingend zu verschreiben, als stammten solche Taten oder ihre begütigende Bezeichnung "Ehrenmord" aus einem kollektiven Mangel an Werten, die Gesellschaft aber diskutiert seither über den Wert von Religion im öffentlichen Leben der Hauptstadt. Das Wahlvolk hat über einen regelrechten Gesetzestext zu entscheiden und forderte nicht, wie beim Flugverkehr in Tempelhof, die Obrigkeit auf, sich die Sache bitte doch noch mal zu überlegen.
Seit Monaten argumentiert Lehmann als Vater, der weiß, dass einer seiner Söhne innerhalb von zwei Jahren Ethikunterricht noch nichts über Religion gehört hat. Er argumentiert als Katholik, also als Vertreter einer selten wahrgenommenen Minderheit, und als Bürger von Berlin zitiert er einen, der integrationspolitisch weiter und religiös toleranter war als Wowereit: Friedrich II. baute den "Heiden und Türken" Gotteshäuser, damit in Preußen "jeder nach seiner Fasson selig" werde.
Rot-Rot und die Mehrheit der Berliner Grünen aber halten allein den verpflichtenden Ethikunterricht – übrigens ohne jeden Beleg dafür – für geeignet, Jugendlichen Werte näherzubringen. Dass der Religionsunterricht seine Absolventen tatsächlich toleranter macht, hat die empirische Forschung inzwischen belegt. Im politischen Berliner Atheismus aber schließen Glauben und Wissen einander aus, unbeirrt verkündet er, Ethik verbinde, Religion spalte. Während der Kampagne für die Gleichberechtigung des Religionsunterrichts zeigte sich der Katholik Lehmann integrationspolitisch avancierter als Rot-Rot-Grün. "Pro Reli" genießt die Unterstützung prominenter SPD-Politiker, die der christlichen Kirchen, die zweier muslimischer Verbände und die der Jüdischen Gemeinde. Egal, wie die Abstimmung ausgeht, sie hat Berlin das aufgeklärte, auch wissenschaftlich gebildete Gespräch über Religion gebracht. Mechthild Küpper
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.04.2009 Seite 10