"Pro Reli" hat verloren. Die Forderung nach einem besseren Ethikunterricht und einer engeren Kooperation mit den Kirchen wird wieder aktuell. Von Mechthild Küpper
BERLIN, 27. April. Wer zum Feiern in die Katholische Akademie gekommen war, hätte gleich um halb sieben Uhr umkehren können: Für die Bürgerinitiative "Pro Reli" und die beiden Kirchen gab es am Sonntag nichts zu feiern. Bei einer Wahlbeteiligung von 29,2 Prozent votierten nur 14,2 Prozent der Stimmberechtigten und 48,4 Prozent der Teilnehmer am Volksentscheid dafür, dass Religion künftig dem Ethikunterricht gleichgestellt werden sollte und Schüler die Wahl zwischen den Fächern erhalten sollten. Da also keine Partystimmung aufkam, wurde viel geredet, und das passte am Ende ganz gut zu der Kampagne. Christoph Lehmann, der Kopf von "Pro Reli", erhielt so viel Applaus, dass damit die Eitelkeit eines durchschnittlichen Zivilisten fürs Leben gestillt werden könnte.
Natürlich hätten sich seine Mitstreiter und er ein anderes Ergebnis gewünscht, sagte er, aber sie hätten der Stadt "eine Diskussion angetragen, die aufgenommen wurde", das werde nicht folgenlos bleiben. Der Einsatz habe sich gelohnt, sagte Lehmann, und das bekräftigte auch Bischof Wolfgang Huber. "Vor zehn Jahren" sei es unvorstellbar gewesen, dass in Berlin monatelang über religiöse Bildung gestritten werden könne: "Es hat sich etwas verändert in der Stadt", und "die Ansprechbarkeit der Menschen" in diesen Fragen werde bleiben. Die Anstrengungen, sagte Georg Kardinal Sterzinsky, "der Religion den gebührenden Platz in der Schule zu sichern", würden nun auf einen "anderen Resonanzboden treffen". Religion sei zwar etwas "sehr Persönliches", aber nichts nur Privates.
Die Frage, die "Pro Reli" stellte, ist durch den Volksentscheid eindeutig beantwortet worden: Es bleibt, was den Werteunterricht betrifft, alles beim Alten, zwei Stunden Ethik in der Woche sind Pflicht zwischen der 7. und der 10. Klasse, Religion ist freiwillig, der Unterricht findet außerhalb des Lehrplans statt. Dass wie erwartet Ost und West in dieser Frage sehr unterschiedlich votierten, kam nicht überraschend. Zu Anfang des Streits über den obligatorischen Ethikunterricht, den Rot-Rot einführte, wies der damalige Vorsitzende der PDS, Stefan Liebich, darauf hin, dass seine Partei in ihrem Milieu sich durchaus straflos offene Kirchenfeindlichkeit leisten könne. Dieses Instrumentarium einzusetzen, haben auch seine Nachfolger sich versagt; doch nahmen in den östlichen Bezirken unterdurchschnittlich wenige Wähler am Volksentscheid teil, und überdurchschnittlich viele stimmten mit Nein. "Die Berliner sind helle und haben sich nicht einlullen lassen", sagte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper (SPD), bei der Party des Regierungslagers zum Abstimmungsergebnis. Am Morgen danach interpretierte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit das Ergebnis als "schallende Ohrfeige" für Lehmann. Seiner Ansicht nach haben sich die Kirchen mit der Kampagne geschadet. "Wie gehe ich mit Religion um, wie gehe ich mit dem Religionsunterricht um?", sei "vor allen Dingen auch eine innere Auseinandersetzung". Die Kirche werde diskutieren, ob der Kurs, den Bischof Huber "gesetzt" habe, richtig gewesen sei. Der Hinweis auf den scheidenden Bischof entspricht Wowereits Verhältnis zu Huber. Politisch stehen sich SPD und evangelische Kirche durchaus nahe, wie Wowereit später herausstrich, doch dass Huber, etwa beim Staatskirchenvertrag, darauf hinwies, dass die Frage des Religionsunterrichts offen bleibe, verzeiht ihm die Berliner SPD offenbar nicht.
Huber sagte, das Ergebnis zeige "etwas von dem Riss", der durch die Stadt gehe, doch sei es die Aufgabe der politisch Verantwortlichen und der Kirchen, diesen nicht zu vertiefen. Er werde den Senat beim Wort nehmen, der erklärt habe, mehr Werteunterricht an staatlichen Schulen anzubieten. Der Landesschülerausschuss forderte nach dem Volksentscheid, die Diskussion über den Ethikunterricht zu nutzen, um "den Rahmenlehrplan des Faches zu verbessern". Auch die Aus- und Weiterbildung der Lehrer müsse "optimiert" werden, damit das Fach "mehr Akzeptanz" finde.
Die FDP, die gegen das sonstige liberale Credo von der wünschenswerten Trennung zwischen Staat und Kirche engagiert für die Gleichstellung des Religionsunterrichts eingetreten war, forderte am Montag, die Politik solle es den Schulen freistellen, wie das Angebot an Ethik und Religion jeweils gehandhabt werde. Auch aus der SPD, die in der Frage des Religionsunterrichts gespalten war, kamen Forderungen, nun müssten Senat, Kirchen und Religionsgemeinschaften zusammen "den Ethik- und Religionsunterricht weiterentwickeln". Es war auch die FDP, die wie "Pro Reli" auf die integrationspolitische Seite des Volksentscheids hinwies. So berichteten auf Einladung der bildungspolitischen Sprecherin Mieke Senftleben hessische und niedersächsische FDP-Politiker in Berlin über die Anstrengungen ihrer Landesregierungen für die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts.
Der Abgeordnete Jörg Stroedter, der in Reinickendorf SPD-Direktkandidat für den Bundestag ist, sagte, "eine enge Zusammenarbeit zwischen dem neutralen Ethikunterricht und dem bekenntnisorientierten Religionsunterricht" sei gut für die Schüler. Von Plänen des Senats, den Erfolg im Volksentscheid zu nutzen, um den Religionsgemeinschaften etwa in der Gestaltung des Ethikunterrichts entgegenzukommen, war am Montag nicht die Rede.
Die Spitzenpolitiker von Rot-Rot werden den Volksentscheid nutzen, um eine Zäsur zu würdigen: An diesem Dienstag werden Wowereit und Bürgermeister Harald Wolf von der Linkspartei "Zwischenbilanz und Ausblick" ihrer Regierung erörtern. In Berlin wird 2011 gewählt. Beim Religionsunterricht genoss Rot-Rot wie schon bei der Volksabstimmung über den Flugbetrieb in Tempelhof vor einem Jahr die Unterstützung der Grünen, so dass die Aussicht auf eine Ablösung durch ein Jamaika-Bündnis unwahrscheinlicher geworden ist. Am Abend werden die Unterstützer von "Pro Reli" einen ökumenischen Dankgottesdienst feiern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.04.2009 Seite 2