Gitarrengötter brauchen an ihrer Schöpfung nichts zu ändern: Eric Clapton spielt im Rahmen seiner Welttournee ein phänomenales Konzert in der Leipziger Arena.
Die natürliche Überlegenheit des Gitarrenspiels von Eric Clapton wurde mir endgültig klar, als er im Juni 1988 beim Londoner Konzert für die Freilassung von Nelson Mandela auftrat. Er war gar nicht angekündigt, doch plötzlich stand er auf der Bühne – als Rhythmusgitarrist für die Dire Straits. Und obwohl die Band von Mark Knopfler selbst über einen der markantesten Gitarrensounds verfügt, riss Clapton die Musik sofort an sich und verpasste ihr den unverwechselbaren Klang seines Fender-Instruments: mit einer Fingerfertigkeit auf dem Griffbrett, die als größte Selbstverständlichkeit daherkommt – als "Slowhand" feiern ihn seine Anhänger dafür. Plötzlich war er in London der Solist, und es konnte auch gar nicht anders sein. Schließlich ist kein anderer der Heroen auf diesem Instrument so lange im Geschäft wie der heute dreiundsechzigjährige Brite. Neben Alexis Korner gilt er als einziger Weißer, der den Blues bis ins Letzte verstanden und – was noch wichtiger ist – verinnerlicht hat. Und das schon vor den zahllosen Schicksalsschlägen, die sein Leben überschattet haben.
Als er nun zum Auftakt von insgesamt vier Deutschland-Konzerten in der dampfenden Leipziger Arena auf der Bühne steht, sieht man dem schlanken Mann in Jeans, kurzärmeligem Hemd und mit randloser Brille diese traurige Vergangenheit nicht an. Aber man hört sie am noch einmal intensivierten Spiel, den kurzen Soli und im Zusammenklang mit Doyle Bramhall II, der seit einigen Jahren der zweite Gitarrist in Claptons Band ist. Gegenüber dem ein rundes Vierteljahrhundert jüngeren Texaner agiert Clapton als Mentor, der niemandem mehr etwas beweisen muss.
Natürlich ist er auch in Leipzig der Solist, aber einer, der seiner ganzen Band Raum gewährt, am schönsten im zwölfminütigen "Little Queen of Spades", dem Blues-Klassiker von Robert Johnson, den Clapton nach der zuvor flott heruntergespielten Eigenkomposition "Motherless Children" anreißt, als wollte er die Halle zum Einsturz bringen. Doch dann ist es der seit dreißig Jahren mit Clapton zusammenspielende Chris Stainton am Klavier, der mit seinem Solo eine neue Dramaturgie in den Song bringt, die vom Bassisten Willie Weeks und Abe Laboriel Jr. am Schlagzeug aufgenommen und weiterentwickelt wird, bis einem Hören und Sehen vergangen sind. Claptons aktuelle Band ist phänomenal.
Gerne würde man das auch von den weiteren Beteiligten des Abends sagen. Aber Jakob Dylan hat sich für das Vorprogramm zwar Hut und Stimme vom berühmten Vater geliehen und offenkundig dessen wunderbares Album "Oh Mercy" von 1989 oft gehört, doch sein Country Blues ist zu monoton und leichtgewichtig, um mehr als nur Begleitmusik zu sein. Immerhin sympathisch, dass er bei der Vorstellung seiner Band den eigenen Familiennamen bescheiden oder beschämt verschweigt. Gleichfalls enttäuschen neben Clapton dessen beide Background-Sängerinnen, allerdings weniger aus eigener Schuld. Die hervorragende Klangmischung des Leipziger Konzerts deckt die Schwächen nahezu aller Arrangements auf, in denen sie ihr einfallsloses "Hu Hu Hu" erklingen lassen. Zwar hat auch Chris Stainton manche Sünde zu begehen, vor allem bei "Isn't It a Pity", der Hommage an Claptons ehedem besten Freund George Harrison, das im Mottenkisten-Stil der Siebziger gespielt wird, aber spätestens mit "Before You Accuse Me" hat man dem Keyboarder alles verziehen. Die beiden Damen dagegen bekommen keine Chance mehr.
Die Dramaturgie des Abends ist für jeden Clapton-Liebhaber absehbar; es geht los mit "Tell the Truth", dann "Key to the Highway", beide von der "Layla"Platte – schon sind wir mitten in den Klassikern. Bis zum vierten Stück, dem frühen Höhepunkt des Konzerts, einer langen magischen Version von Curtis Mayfields "Here But I'm Gone", in der Clapton den verkappten Reggae-Rhythmus des Lieds aufdeckt, tritt Bramhall II noch als eifriger Mitsänger auf, der sogar einzelne Strophen allein für sich bekommt. Doch dann, nach diesem Feuerwerk der Instrumente, ist er wohl unzufrieden mit der eigenen Sangesleistung neben dem stimmlich blendend disponierten Clapton und schweigt fortan.
In der Mitte des Abends steht der mittlerweile obligatorische Akustikblock, der fünf Lieder umfasst, darunter als Höhepunkt Robert Johnsons "Travelling Riverside Blues". Auch das war zu erwarten, denn gegenüber anderen Konzerten der Tournee wird nur noch die Reihenfolge einzelner Lieder gewechselt. Aber ein Gott, als der Clapton schon vor vierzig Jahren in Graffiti gepriesen wurde, hat an seiner Schöpfung nun einmal nichts auszusetzen.
Das hat auch Nachteile. Niemand brauchte zum Beispiel noch "Wonderful Tonight" oder "Running on Faith" – es waren große Hits, nicht mehr. Aber dann beweist Clapton nach fast zwei Stunden mit dem Finale, dass selbst das Bekannteste noch Spannung bieten kann: "Layla" wird inklusive der elegischen Coda aus der Originalaufnahme mit Derek and the Dominos gespielt und klimpert dann aus, ehe nach einer winzigen Generalpause das unverkennbare Riff von "Cocaine" einsetzt, worin dann Doyle Bramhall II sein bestes Solo bekommt und Eric Clapton das eigene Spiel ganz zurücknimmt, nur schließlich noch einmal in den Saal brüllt: "She don't lie, she don't lie, she don't lie", und dann dem Publikum die Antwort überlässt: "Cocaine". Und da strahlt der ernste Sänger zum ersten Mal.
Auch die Band hat das Leipziger Konzert ernst genommen, und das hat ihm gutgetan. Kaum Bewegung auf der Bühne, bestenfalls tritt Clapton bisweilen an die Seite Bramhalls, der wie ein Zinnsoldat Gitarre spielt; dafür jedoch umso mehr Bewegung in der Musik, ohne dass wirklich improvisiert würde. Es sind die winzigen Effekte mit Wah-Wah-Pedal, Bottleneck oder Plektron, die hier zählen. Und Claptons unglaubliche Geschicklichkeit auf den Saiten, die erfreulicherweise bis ins Detail auf den beiden Großbildschirmen links und rechts der Bühne zu verfolgen ist – und bisweilen sogar mehrfach vergrößert, wenn auch in sechs Teile zerstückelt, auf den wandhohen Diodenstreifen hinter der Band. Mehr als eine Zugabe schenkt der Meister nicht her: "Crossroads", also wieder Robert Johnson. Seinesgleichen hat Eric Clapton nur noch unter den Toten. Andreas Platthaus
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.08.2008 Seite 39