Religiöse Toleranz ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit. Warum die Tradition der Negativen Theologie heute wieder zu neuem Glanz kommt, zeigt ein Sammelband.
Der Schriftsteller Gottfried Benn hat, was Gott betrifft, eine bekanntermaßen lose Lippe riskiert. Als Kandidat für den Hessischen Kulturpreis wäre er im Büro Roland Kochs wohl durchgefallen. In seinen autobiographischen Schriften hält Benn unter der Überschrift "Das Religiöse und die Demut" fest: "Eine katholische Zeitung, die mich im Einzelnen sehr gerühmt hatte, sagt zum Schluss: Fort mit diesem Mann, er findet Gott lächerlich und verachtet die Religionen. Welche Verkennung!" Nein, er finde Gott überhaupt nicht lächerlich, erklärt Benn, wohl aber die Einsilbigkeit und Wolkigkeit, mit der er von sich reden mache.
"Dieses große Wesen – ein Thema für sich!", schreibt er. "Man überlege doch einmal, was es mit uns allen angerichtet hat, es hat mich doch keineswegs so reich beschenkt, dass ich mich durchfände, es hat viel verschleiert, was für mich wichtig wäre, ich muss viel herunterschlucken und bin am Ende so schlau, wie ich am Anfang war. Ergebnis: ich muss durch alles allein hindurch, durch meine Zerrüttungen, durch das Studium meiner selbst, durch die Phänomenologie meiner Ichbestände." Benns Resümee klingt denn auch eher nach enttäuschter Liebe als nach Religionshass: "Dies große Wesen – es hätte unbedingt seine Situation klarer herausarbeiten müssen, bevor es Forderungen präziser Art erhebt."
Dass es mit dem Sprechen über Gott eine gefährliche Sache sein kann, hat man in der Tradition der sogenannten Negativen Theologie immer schon gewusst. Die Negative Theologie tut eigentlich nichts anderes, als zu sagen, was nicht von Gott gesagt werden kann. Sie ist, wenn man so will, in jedwedem theologischen Unternehmen der Anwalt der Skepsis. Sie warnt vor falschen Erwartungen, voreiligen Schlüssen und der irrigen Annahme, man könne Gott in den Formeln, in denen er sich ausdrückt, irgendwie haben. Kann man nicht, sagt die Negative Theologie mit Gottfried Benn: Gott hat seine Situation in der Tat nicht besonders klar herausgearbeitet. Negative Theologie ist, so gesehen, die Grammatik, mit der sich überhaupt nur sinnvoll von Gott sprechen lässt – eine Grammatik der Näherung statt der angemaßten Einfühlung.
Wie sollte Empathie mit Gott auch möglich sein? Nur eine überschätzte Ähnlichkeit, die Gott nach unserem Ebenbild erschaffen will, macht aus dem höchsten Wesen ein "Like me"-Wesen. Eine solche Vereinnahmung, die sich in der Haut des anderen wähnt, verstimmt ja schon im Zwischenmenschlichen. Religiöse Toleranz ist jedoch nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern des Gefühls für die prinzipielle Vorläufigkeit der theologischen Rede. Negative Theologie legt es darauf an, die Momente der Unähnlichkeit zu verstehen. Als Gegengift zu den religiösen Fundamentalismen kommt diese skeptische Tradition der theologischen Rede zu neuem Glanz. Ein von Alois Halbmayr und Gregor Maria Hoff herausgegebener Band bewertet unter dem Titel "Negative Theologie heute?" ihren aktuellen Stellenwert.
Die Nähe der Negativen Theologie zur mystischen Tradition nimmt ihr nicht den Zug ins Nüchterne. Denn nicht alle Mystiker sind Enthusiasten. Selbst im mystischen Überschwang der Meister Eckhart, Nikolaus von Kues oder Johannes vom Kreuz steckt doch mehr Nüchternheit – und ja: Reflexion – als im Unterscheidungsfuror der alten und neuen Scholastiker. In diesem Zusammenhang erinnert das Buch daran, dass der große Konzilstheologe Hans Urs von Balthasar als eine besondere Leistung des Dionysius Areopagita, des Urvaters der Negativen Theologie, die "Synthese von Wahrheit und Schönheit, von Theologie und Ästhetik" ansah.
Die grundlegende Frage, die dieses Buch durchzieht, formuliert Gregor Maria Hoff am Beispiel des christlichen Glaubens an die Dreieinigkeit Gottes: "Wie verhält sich die Einsicht in die unabschaffbare Bedeutung einer via negativa aller Gottrede zu jenem gleichermaßen irreduziblen Bekenntnis, dass sich der Gott Jesu Christi in ihm als seinem Logos ausgesprochen habe – und zwar nicht nur irgendwie, peripher, sondern als er selbst." Der Einspruch negativer Theologien gegen ein Übermaß an Konkretion, an einem zu genauen Wissen von Gott breche sich am trinitarisch entfalteten Inkarnationsglauben und finde daran sein Maß. Das Pikante an der Trinitätstheologie des Augustinus erblickt Hoff darin, dass hier das Sprachproblem selbst als theologische Ausdrucksform eingesetzt wird: "Vater, Sohn, Heiliger Geist: dabei handelt es sich um Worte. Indem man sie ausspricht, werden sie getrennt aufgefasst. Als Dreiheit sind sie aber zugleich unbedingt eins. Die entscheidende Differenz liegt im göttlichen Wesen einerseits und der menschlich unzureichenden Bezeichnungsfähigkeit dieser Wirklichkeit andererseits. Der Mensch kann die Trinität in ihrer Untrennbarkeit nur als unterschiedliche Größen raum-zeitlich wahrnehmen."
Dieses Ungenügen im Blick bedient man sich einer negativen Gottessprache, die etwa erklärt, dass Gott "unwandelbar" sei, ohne damit seine Ewigkeit schon positiv bestimmt zu haben. Hoff spricht von einem semantischen Ausschlussverfahren, mit dem auch die positive Theologie noch als Fortsetzung der negativen Theologie mit anderen Mitteln erscheint: "Sie funktioniert auf der Basis ihrer Vorbehaltlichkeit; sie ist eine Sprache auf Abruf – und erzielt genau darin besondere Ausdrucksqualitäten."
Schade, dass Hoff nicht den Beitrag des renommierten evangelischen Theologen Eberhard Jüngel verarbeitet, den dieser zum Verhältnis von Kreuzestheologie und Trinitätslehre in seinem Buch "Ganz werden" erstmals publizierte. In Jüngels Beitrag erscheint es als spezifische Leistung von biblisch informierter negativer Theologie, in Gottes Gegensätzen seine Entsprechung zu entdecken.
Eben am Beispiel der Dreieinigkeitsidee zeigt Jüngel, dass es nicht damit getan ist, in einem schwärmerischen Sinne einfach nur Gottes Andersheit zu behaupten. Was als Gegensatz erscheint – der eine Gott in drei Personen –, gehorcht einer Entsprechung, wenn die christlichen Annahmen von Gottes Andersheit berücksichtigt werden: "Sie setzen voraus, dass Gott zwar nicht nur das Andere seiner selbst (aliud) sein kann (,In deo non est aliud' wird im Anschluss an Tertullian noch Meister Eckhart behaupten), dass er aber in sich selber – alius, alius,
alius – die Gemeinschaft gegenseitigen personalen Andersseins ist."
Jüngels Pointe ist die des Kreuzes: "Der Glaube an den dreieinigen Gott hat seinen konkreten Grund im Glauben an das Sühnopfer, in dem Gott gegen Gott aufgeboten wird." Jüngel zitiert "die göttliche Kreuzestat, in welcher der Vater den Sohn sich durch den Geist opfern lässt", als den kürzesten Ausdruck der Trinität. Und in solcher Verdichtung macht Jüngel plausibel, warum das, was die einen als Zentrum ihrer Religion verehren, für die anderen Gotteslästerung und Idolatrie sein kann. Für die einen hat Gott im Kreuz seine Situation definitiv herausgearbeitet, für die anderen wird damit nur seine Gottheit verhöhnt. Dass Gott mit einem Lutherwort "sowohl der Höchste als auch der Niedrigste ist", ist für Jüngel erklärtermaßen kein Anlass für enttäuschte Liebe. Gefährlich, weil verharmlosend werde die Gottesrede nur für den, der von Gott jede Weise der Differenz oder des Andersseins ausschließen wolle. "Die Philosophie und Theologie der Aufklärung sind dieser Verharmlosung Gottes verfallen und haben denn auch weder mit der Kreuzestheologie noch mit der Trinitätslehre etwas Rechtes anfangen können."
Heute sind es, wie es aussieht, die Negativen Theologen unter den Künstlern und Schriftstellern, die das Widerständige, Ungeheure und Schöne an Gott betonen und ihn seiner Verharmlosung entreißen. christian geyer
Alois Halbmayr, Gregor Maria Hoff (Hrsg.): "Negative Theologie heute?" Zum aktuellen Stellenwert einer umstrittenen Tradition. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008. 303 S., br., 30,– €.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.05.2009 Seite 8